BERLIN/KIEW/MOSKAU (dpa-AFX) - Gut ein Jahr nach Beginn der russischen Invasion in der Ukraine ist die Bundeswehr miserabel aufgestellt. Es mangelt an Ausrüstung, Munition und Waffen, wie am Dienstag die Wehrbeauftragte des Bundestages, Eva Högl, sagte. "Die Bundeswehr hat von allem zu wenig." Vom viel gelobten 100-Milliarden-Sondervermögen sei noch "kein Euro und kein Cent" ausgegeben - das liege auch am "behäbigen" Beschaffungswesen. In der Ostukraine trug das russische Militär den Krieg erneut ins Hinterland und beschoss das Zentrum der Stadt Kramatorsk, die etwa 20 Kilometer westlich der Front liegt. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte dazu: "Der Staat des Bösen kämpft weiter gegen die Zivilbevölkerung."
Diplomatisch gab es einen kleinen Lichtblick: Russland verlängerte die Vereinbarung mit Kiew zum Export ukrainischen Getreides. Es darf nun weiter über drei Häfen am Schwarzen Meer ausgeführt werden - allerdings nur für weitere 60 Tage. Vermittelt hatten den Deal die UN und die Türkei. Er hatte zunächst für 120 Tage gegolten und war einmal um 120 Tage verlängert worden. Sie wäre am Wochenende ausgelaufen. Moskau beklagte aber erneut, dass westliche Sanktionen die im Gegenzug versprochenen Ausfuhr russischer Lebens- und Düngemittel behindern.
Durch die Initiative sind gut 23 Millionen Tonnen Getreide auf den Weltmarkt und auch ärmsten Ländern zugute gekommen. Die Ukraine war vor dem Krieg einer der wichtigsten Getreidelieferanten der Welt.
Rüstungsfirma bemängelt schleppende Auftragsvergabe
Angesichts mangelnder Munition sowohl in der Ukraine als auch in etlichen Nato-Staaten nimmt der Rüstungskonzern Rheinmetall die europäischen Regierungen in die Pflicht. "Ich brauche Aufträge. Ohne Aufträge produziere ich nichts", sagte Vorstandschef Armin Papperger der Nachrichtenagentur Bloomberg. "Ein Mangel an Munition wird nicht an der Industrie liegen." Wegen des schleppenden Abschlusses von Aufträgen wird Rheinmetall in diesem Jahr Pappberger zufolge Munition nur mit etwa zwei Dritteln seiner Kapazität produzieren.
Munitionsmangel herrscht nach monatelangen heftigen Gefechten auch beim russischen Militär. Daher nutzt Russland nach britischer Einschätzung nun auch veraltete Geschosse, die kürzlich noch als unbrauchbar eingestuft worden sei. Weiter erklärte das Verteidigungsministerium unter Berufung auf Geheimdiensterkenntnisse: "In den vergangenen Wochen hat sich der russische Mangel an Artilleriemunition vermutlich so verschlechtert, dass an vielen Frontabschnitten die Geschosse streng rationiert werden." Dies sei mit ziemlicher Sicherheit ein Grund dafür gewesen, warum russische Einheiten zuletzt keine nennenswerten Offensiven hätten starten können. Die russische Verteidigungsindustrie nehme immer stärkere Züge einer Kommandowirtschaft an, hieß es in London weiter.
Russland verschärft Gesetz gegen "Diskreditierung" der Armee aus
Russland erweiterte am Dienstag sein ohnehin schon umstrittenes Gesetz zur Ahndung einer "Verleumdung" oder "Diskreditierung" eigener Kämpfer. Hohe Strafen drohen nun nicht nur für Kritik an der Armee, sondern auch an "Freiwilligen", die im Nachbarland kämpfen. Bei einer Verurteilung nach dem neuen Gesetz drohen bis zu 15 Jahre Haft.
Die Gesetzesverschärfung geht vor allem auf eine Forderung des Chefs der berüchtigten Söldnertruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin, zurück. Dieser hatte für den Krieg reihenweise Schwerverbrecher rekrutiert.
Litauens Parlament stufte die Wagner-Söldnertruppe am Dienstag als terroristische Vereinigung ein. Die Militärfirma sei eine Bedrohung für die öffentliche Sicherheit, hieß in der am Dienstag von 117 Abgeordneten des baltischen EU- und Nato-Landes einstimmig angenommenen Entschließung. Die Truppe sei unter anderem verantwortlich für das Töten und Foltern von Zivilisten in der Ukraine sowie Bombenanschläge auf Häuser und andere zivile Objekte.
Angriff auf Kramatorsk: Sechs Mehrfamilienwohnhäuser beschädigt
Beim russischen Raketenangriff auf Kramatorsk wurden nach Regierungsangaben mindestens sieben Menschen verletzt und einer getötet worden. Auch seien durch sechs Mehrfamilienwohnhäuser beschädigt worden. Vor Kriegsbeginn lebten mehr als 140 000 Menschen in Kramatorsk, Stand Dezember sollen noch gut 80 000 Einwohner verblieben sein.
Bei weiteren Attacken in der Nacht wurden Behördenangaben zufolge im benachbarten Kostjantyniwka mindestens zwei Menschen getötet und sieben verletzt. Mehrere Raketeneinschläge gab es demnach zudem in der umkämpften Stadt Awdijiwka. Dabei seien mindestens ein Mensch getötet und zwei weitere verletzt worden, hieß es.
Bundesverwaltungsgericht bestätigt Rosneft-Treuhandverwaltung
Das Bundesverwaltungsgericht bestätigte die Treuhandverwaltung zweier deutscher Tochterfirmen des russischen Ölkonzerns Rosneft. Die Anordnung durch das Bundeswirtschaftsministerium sei rechtmäßig gewesen, entschied das Gericht in Leipzig. Der Bund hatte dies mit einer drohenden Gefahr für die Versorgungssicherheit in Folge des russischen Angriffs auf die Ukraine begründet.
Bundeswehrverband: Endlich Konsequenzen aus Ukraine-Krieg ziehen
Auch der Vorsitzende des Bundeswehrverbands, André Wüstner, fordert, endlich Konsequenzen aus der von Kanzler Olaf Scholz (SPD) angesichts des Ukraine-Krieges ausgerufenen Zeitenwende zu ziehen. Die Politik unternehme bislang zu wenig gegen den "desaströsen Zustand" der Bundeswehr, sagte Wüstner dem Sender WDR5. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) habe vor kurzem gesagt, dass Deutschland nicht verteidigungsfähig sei./toz/DP/ngu