BERLIN/MÜNCHEN (dpa-AFX) - Vor dem ersten China-Besuch von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) an diesem Freitag dringt die deutsche Wirtschaft auf ein robusteres Auftreten gegen Peking. Der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) appellierte an den SPD-Politiker, einseitige deutsche Abhängigkeiten zu verringern. Zugleich kündigte Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) gesetzliche Vorkehrungen an, um chinesische Einflussnahme in Deutschland zu begrenzen.

Peking wolle "Abhängigkeiten schaffen und Einfluss nehmen", sagte Lindner der Funke-Mediengruppe. "Deshalb muss das Außenwirtschaftsrecht verändert werden. Das Finanzministerium hat dazu aus Anlass des Falls Cosco eine Initiative ergriffen."

Damit meinte er die umstrittene geplante Beteiligung der chinesischen Staatsreederei Cosco an einem Containerterminal im Hamburger Hafen. Am Mittwoch hatte sich das Bundeskabinett auf einen Kompromiss verständigt. Demnach können die Chinesen nur einen Anteil unterhalb von 25 Prozent an dem Containerterminal Tollerort erwerben. Cosco wollte ursprünglich 35 Prozent haben.

"Die Lösung für den Hamburger Hafen ist verantwortbar", sagte Lindner. "Das chinesische Unternehmen beteiligt sich an einer Gesellschaft, die kein Eigentum am Hafen hat, sondern lediglich einen befristeten Pachtvertrag für eines von mehreren Terminals. Es gibt somit keinen strategischen Einfluss auf die Infrastruktur."

Der Grünen-Vorsitzende Omid Nouripour nannte die Gesetzgebung zum Schutz kritischer Infrastrukturen "löchrig", sie müsse "dringend überarbeitet werden, so wie im Koalitionsvertrag bereits vereinbart", sagte er der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". "Hier braucht es mehr Tempo."

BDI-Präsident Siegfried Russwurm zeigte sich besorgt über "einseitige Abhängigkeiten" von China. "Deutschland ist von vielen mineralischen Rohstoffen heute stark von China abhängig." Im Gegensatz etwa zu Öl und Gas gebe es bei mineralischen Rohstoffen keine nationalen strategischen Reserven in Deutschland.

Der deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) forderte angesichts der von vielen deutschen Managern beklagten Gängelei durch die chinesischen Behörden Einsatz für gleiche Spielregeln. "Der zunehmende Protektionismus in der Volksrepublik ist aus Sicht der deutschen Wirtschaft ein Problem", sagte DIHK-Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben.

"Das Land setzt selbst eher auf Abschottung, will aber überall in der Welt mehr mitmischen, auch bei uns in Deutschland". Deshalb sei es so wichtig, dass der Bundeskanzler sich für "wechselseitig gleiche Regeln, also Reziprozität, einsetzt. Hier muss sich auch Europa klar positionieren", machte Wansleben klar.

Der BDI sieht das ganz ähnlich: "Zentral für Deutschland als Exportland ist eine proaktivere EU-Handelspolitik, vor allem gegenüber weiteren dynamischen Wachstumsmärkten im asiatisch-pazifischen Raum", sagte Russwurm.

Für den Kanzler läuft dies bei seinem Besuch in Peking darauf hinaus, dass er die seit Jahrzehnten eingefahrenen Gleise der deutschen Außenhandelspolitik verlassen soll. China ist der weltgrößte Markt für fast alles. So agierten deutsche Spitzenpolitiker vom einstigen CSU-Chef Franz Josef Strauß bis zu Ex-Kanzlerin Angela Merkel bei Peking-Besuchen seit den 1970er Jahren stets als Türöffner für die deutsche Wirtschaft.

Verbunden war dies mit der Hoffnung, dass die chinesische Diktatur sich in Richtung Rechtsstaat wandeln werde. Anders als in den USA gab es hierzulande lange quasi keine Debatte über die damit verbundenen politischen und wirtschaftlichen Risiken.

Der Großhandelsverband BGA plädiert dafür, enger mit anderen Ländern zu kooperieren. "Wenn die Bundesregierung die Abhängigkeit von China verringern will, dann muss sie die Handelsbeziehungen zu anderen Staaten deutlich verbessern", sagt BGA-Präsident Dirk Jandura. "Wir brauchen endlich Freihandelsabkommen mit Wertepartnern im transatlantischen Raum, den Mercosur-Staaten, aber auch mit Indien und weiteren Ländern in Ost- und Süd-Ostasien." Zudem sollten neue Handelsstrategien entwickelt werden - "beispielsweise für Afrika", fordert Jandura.

Doch dank jahrzehntelanger politischer Förderung sind deutsche Unternehmen heute so eng mit China verflochten, dass eine "Entkopplung" schwerwiegende Folgen für die deutsche Volkswirtschaft hätte. Bekanntestes Beispiel eines auf China angewiesenen Unternehmens ist Volkswagen , der Konzern macht vierzig Prozent seines Umsatzes in China. Ähnlich gilt das aber zum Beispiel auch für den Sportbekleidungshersteller Adidas , der im vergangenen Jahr unter Boykottaufrufen chinesischer Nationalisten litt./cho/DP/mis

- Von Carsten Hoefer und Andreas Hoenig, dpa -