BEIRUT/TEL AVIV (dpa-AFX) - Erstmals nach der Tötung von Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah im Libanon hat sich die Spitze der islamistischen Miliz zu Wort gemeldet und Israel ihre Kampfbereitschaft signalisiert. "Wir wissen, dass der Kampf lang dauern könnte, und sind auf alle Möglichkeiten vorbereitet", sagte der stellvertretende Hisbollah-Chef Naim Kassim in einer im Fernsehen übertragenen Rede. "Wenn Israel sich entscheidet, eine Bodenoffensive zu starten: Wir sind bereit." Wer die Hisbollah anführen soll, sagte er nicht. Im Libanon spitzt sich die humanitäre Notlage derweil zu.
Am Freitag hatte Israels Armee den Generalsekretär der schiitischen Hisbollah, die vom Iran unterstützt wird, im Süden der libanesischen Hauptstadt Beirut getötet. Eine Formation von mindestens zehn Kampfjets soll dabei rund 80 Tonnen Bomben auf einen Häuserblock über dem unterirdischen Hauptquartier der Schiitenmiliz abgeworfen haben. Bei der Operation kamen zudem mehr als ein Dutzend weitere Führungskräfte sowie ein iranischer General ums Leben - ein schwerer Schlag für Teheran und seinen Verbündeten in der Region.
Seit mehr als einer Woche fliegt Israels Militär Hunderte Angriffe im Nachbarland. Aus Angst vor den Kämpfen sind inzwischen Zehntausende Libanesen aus ihren Dörfern und Städten geflohen. Viele Menschen harren unterdessen in der Hauptstadt Beirut aus und schlafen angesichts fehlender Unterkünfte teils auch auf Matratzen an der Küstenpromenade der Mittelmeerstadt. Die jüngste Eskalation dürfte bei vielen der rund 9 Millionen Bewohner Erinnerungen an den letzten Krieg zwischen Israel und der Hisbollah vor 18 Jahren wecken.
Israels Verteidigungsminister spielt auf Bodeneinsatz im Libanon an
Israels Verteidigungsminister Joav Galant spielte am Montag auf einen möglichen Bodeneinsatz im Libanon an. Die Tötung Nasrallahs sei ein wichtiger Schritt, "aber noch nicht alles", sagte Galant bei einem Besuch gepanzerter Truppen an der Nordgrenze. "Wir werden alle unsere Fähigkeiten einsetzen." Die gepanzerten Truppen seien dabei "Teil der Anstrengung".
Ziel sei weiterhin, die Rückkehr von 60.000 Israelis zu ermöglichen, die seit Monaten durch die Hisbollah-Angriffe aus Gebieten entlang der Grenze vertrieben sind. Man sei bereit, dafür "jede Anstrengung zu unternehmen" und Truppen in der Luft, auf See und am Boden einzusetzen.
Zu einem Bericht des "Wall Street Journal", demzufolge israelische Spezialkräfte bereits kleine, gezielte Vorstöße in den Süden des Libanons unternommen haben sollen, äußerte die Armee sich nicht. Ziel der Vorstöße sollte es laut dem unbestätigten Bericht sein, eine Bodenoffensive vorzubereiten, vielleicht schon in dieser Woche.
Gegenseitiger Beschuss geht weiter
Trotz der Tötung zahlreicher Führungsmitglieder setzte die Hisbollah ihre Angriffe fort. Nach Angaben der israelischen Armee gab es in der Stadt Safed am Montag erneut Raketenalarm. Der Armeesender berichtete, mehrere Raketen seien auf die Stadt abgefeuert worden. Es gab zunächst keine Berichte über Verletzte oder Sachschaden.
Die Armee teilte zudem mit, ein israelisches Raketenboot habe eine Drohne abgefangen, die im Norden über israelischen Gewässern im Mittelmeer geflogen sei. Der Armeesender berichtete, man gehe davon aus, dass die Drohne auf die Karisch-Gasplattform abzielte, aus israelischer Sicht ein strategisches Ziel. Israel und der Libanon hatten sich vor zwei Jahren auf ein Gas-Abkommen und den Grenzverlauf geeinigt.
Anführer der islamistischen Hamas im Libanon getötet
Israels Armee tötete im Libanon auch einen Anführer der islamistischen Hamas, gegen die Isarel seit fast einem Jahr im Gazastreifen kämpft. Fatah Scharif Abu al-Amin sei gemeinsam mit weiteren Familienmitgliedern in seinem Wohnort nahe Tyros ums Leben gekommen, hieß es weiter in der Mitteilung. Es handele sich um den Anführer der Hamas im Libanon.
Auch in Beirut gab es einen neuen Angriff. Die Gruppe Volksfront zur Befreiung Palästinas teilte mit, drei ihrer Anführer seien bei einem israelischen Luftangriff getötet worden. Israel habe die Gruppe im vorwiegend sunnitisch bewohnten Viertel Kola in Beirut angegriffen. Unter den Toten ist demnach unter anderem der PFLP-Militärkommandeur im Libanon. Israel, die EU und die USA stufen die PFLP als Terrororganisation ein.
UN: Schon 100.000 vom Libanon nach Syrien geflohen
Nach UN-Angaben sind seit Beginn der massiven israelischen Luftangriffe im Libanon bereits rund 100.000 Menschen nach Syrien geflohen. 60 Prozent seien Syrer, die einst im Libanon Zuflucht gesucht hatten, 40 Prozent Libanesen, berichtete das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR in Genf. Nach den Bombenangriffen am Freitag verdoppelte sich demnach die Zahl der Flüchtenden am nordwestlichen Grenzübergang Richtung Homs in Syrien. Die meisten Menschen fliehen aber über den Grenzübergang rund 70 Kilometer südwestlich von Beirut Richtung Damaskus.
Rund 1.800 Deutsche im Libanon auf Krisenvorsorgeliste
Die Bundesregierung geht davon aus, dass sich noch rund 1.800 deutsche Staatsangehörige im Libanon befinden. Eine entsprechende Zahl habe sich auf der Krisenvorsorgeliste Elefand des Auswärtigen Amts registriert, sagte ein Ministeriumssprecher.
Der Krisenstab der Bundesregierung hat nach Angaben des Sprechers am Freitag und Samstag die Entwicklung der Lage bewertet. Nachdem der Flughafen in Beirut, wenn auch mit drastisch eingeschränktem Flugbetrieb, ebenso noch offen sei wie der Flughafen Tel Aviv, unterstütze das Auswärtige Amt, wenn nötig, deutsche Staatsangehörige bei der Ausreise. "Aber wir sind explizit nicht in einem Evakuierungsszenario".
Iran schickt Berater in Hisbollah-Büro in Teheran
Iran gilt als wichtigste Unterstützer der Hisbollah im Libanon. Nach der Tötung von Nasrallah dürfte Teheran auch bei der Neuausrichtung der Organisation eine Rolle spielen. So erschienen in den vergangenen Tagen hochrangige Berater und Politiker in der Teheraner Vertretung der Organisation, wie iranische Medien berichteten. Unter ihnen waren etwa Präsident Massud Peseschkian, Geheimdienstminister Ismail Chatib sowie der Oberbefehlshaber der Streitkräfte, Abdolrahim Mussawi. In den vergangenen Jahrzehnten hatte Irans Staatsführung die Organisation politisch und militärisch mit aufgebaut./arb/DP/ngu