(neu: weitere Details zum Getreideabkommen und zum Kampfgeschehen)
KIEW/MOSKAU/ISTANBUL (dpa-AFX) - Nach russischen Raketenangriffen auf die Energie-Infrastruktur der Ukraine ist es in der Hauptstadt Kiew und sechs weiteren Regionen zu Einschränkungen bei der Stromversorgung gekommen. Der Strom werde für Kunden zeitlich gestaffelt abgeschaltet, teilte der Energieversorger Ukrenerho am Dienstag in Kiew mit. Betroffen seien auch die Regionen Tschernihiw, Tscherkassy, Schytomyr sowie Sumy, Charkiw und Poltawa.
Die Ukraine wirft Russland "Energieterror" vor, mit dem Ziel, die Menschen in Dunkelheit, Kälte und Angst zu stürzen. Kremlchef Wladimir Putin wolle so Menschen in die EU treiben, um dort die Lage durch eine Vielzahl an Flüchtlingen zu destabilisieren, heißt es in Kiew.
Unterdessen gingen die ukrainischen Getreideexporte über das Schwarze Meer gegen den Willen Russlands am Dienstag zunächst weiter - wurden aber für Mittwoch überraschend ausgesetzt.
Moskau will Schläge gegen ukrainische Infrastruktur fortsetzen
Russland werde die Raketenangriffe auf die ukrainische Infrastruktur fortsetzen, sagte Verteidigungsminister Sergej Schoigu. Damit würden "effektiv" Objekte zerstört und es werde das militärische Potenzial der Ukraine reduziert. Schoigu teilte zudem mit, die Teilmobilmachung von 300 000 Reservisten für den Kriegsdienst in der Ukraine sei abgeschlossen. 87 000 von ihnen seien inzwischen im Kampfgebiet. Die anderen würden weiter ausgebildet.
Immer mehr Einschränkungen für Ukrainer
Die Bevölkerung der Ukraine muss schon seit Wochen mit Beschränkungen leben: Die Menschen sind aufgerufen, besonders während der Spitzenzeiten morgens und abends Strom zu sparen. Waschmaschinen und Heizungen sollen möglichst nur nachts laufen, unnötige Lichtquellen ausgeschaltet bleiben. In dem seit mehr als acht Monaten andauernden russischen Angriffskrieg gegen das Nachbarland ist die lebenswichtige Energie-Infrastruktur seit gut drei Wochen Hauptziel der Attacken.
Mehr als eine Million Ukrainer in Deutschland aufgenommen
Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Reem Alabali-Radovan, gab die Zahl der bisher von Deutschland aufgenommenen Flüchtlinge aus der Ukraine am Dienstag mit mehr als einer Million an. Hinzu kämen noch 160 000 Schutzsuchende aus anderen Staaten, sagte sie im ZDF-"Morgenmagazin". Bundesinnenministerin Nancy Faeser hatte vor kurzem gewarnt, die Kommunen seien angesichts steigender Zahlen von Kriegsflüchtlingen und Asylbewerbern stark belastet und kämen an die Grenzen ihrer Kapazität.
Kiew fordert Ausschluss Russlands aus G20
Die Ukraine forderte wegen der Angriffe erneut einen Ausschluss Russlands aus der G20. Putin müsse auch vom Gipfeltreffen großer Industrie- und Schwellenländer Mitte November auf Bali in Indonesien ausgeladen werden, sagte der Sprecher des Außenministeriums, Oleh Nikolenko. "Putin hat öffentlich zugegeben, Raketenangriffe auf ukrainische Zivilisten und die Energie-Infrastruktur befohlen zu haben", schrieb Nikolenko auf Twitter. "Mit diesem Blut an den Händen darf er nicht mit den Führern der Welt am Tisch sitzen." Putin hatte auf die Frage, ob die Angriffe eine Vergeltung für den Drohnenbeschuss der russischen Schwarzmeerflotte auf deren Stützpunkt in Sewastopol auf der Halbinsel Krim gewesen seien: "Teils ist das so. Aber das ist auch nicht alles, was wir hätten tun können."
Moskau beschuldigt London wegen Nord-Stream-Explosionen
Die Regierung in Moskau beschuldigte erneut Großbritannien, an der Zerstörung der Ostseepipelines Nord Stream 1 und 2 beteiligt gewesen zu sein. Die russischen Geheimdienste hätten entsprechende Informationen, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow. Moskau hatte Großbritannien auch vorgeworfen, an den Drohnenangriffen auf russische Kriegsschiffe in Sewastopol beteiligt gewesen zu sein. Großbritannien wies beide Anschuldigungen empört zurück.
Keine Getreideexporte über See am Mittwoch
Der Export von ukrainischem Getreide über das Schwarze Meer soll am Mittwoch zunächst für einen Tag ausgesetzt werden. Darauf hätten sich die ukrainische, türkische und die UN-Delegation geeinigt, die laut Getreideabkommen in einem speziell eingerichteten Zentrum in Istanbul zusammenarbeiten, wie die UN mitteilte. Das sei eine "vorübergehende und außergewöhnliche Maßnahme". Eine Begründung wurde nicht genannt.
Zuvor hatten die Ukraine, die Türkei und die UN den Seetransport ukrainischen Getreides gegen den Willen Russlands am Dienstag zunächst fortgesetzt - drei weitere Frachter liefen aus ukrainischen Häfen aus.
Lob Selenskyjs für die Luftabwehr
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj unterstrich nach den russischen Raketenangriffen vom Montag die Erfolge der Flugabwehr. Von etwa 50 russischen Marschflugkörpern und Raketen seien 45 abgeschossen worden, sagte er in seiner Videobotschaft. Sein Land brauche weitere Waffen zur Abwehr der Angriffe aus der Luft, forderte er. Schon jetzt müsse Russland für einen Treffer mehr Raketen einsetzen als früher. Das von Deutschland gelieferte Luftabwehrsystem Iris-T wurde von den Ukrainern als sehr treffsicher gelobt. Kommendes Jahr sollen drei weitere solcher Abfangwaffen folgen.
Bomben-Vorwurf: IAEA beginnt Inspektionen in der Ukraine
Die Internationale Atomenergiebehörde IAEA hat nach russischen Vorwürfen, Kiew wolle eine "schmutzige Bombe" einsetzen, mit ihren geplanten Inspektionen in der Ukraine begonnen, wie Behördenchef Rafael Grossi mitteilte. Überprüft werden demnach zwei Standorte, um mögliche nicht deklarierte nukleare Aktivitäten und Materialien aufzuspüren. Kiew hatte die russischen Vorwürfe dementiert und um eine IAEA-Mission gebeten.
Ukraine sieht Bedrohung durch iranische Raketen
Die ukrainische Armee befürchtet, dass Russland neben Drohnen auch Mittelstreckenraketen aus dem Iran kauft und gegen die Ukraine einsetzen wird. Dies sei gefährlich, weil die Ukraine keine geeigneten Abwehrwaffen habe, sagte Luftwaffensprecher Jurij Ihnat in Kiew. "Wir haben eine Luftverteidigung, keine Raketenabwehr", sagte er. Es gehe um ballistische Raketen iranischer Bauart mit Reichweiten von 300 bis 700 Kilometern, die den russischen Boden-Boden-Raketen vom Typ Iskander-M ähnelten.
Russische Besatzung lässt auch Südufer des Dnipro räumen
Die russische Besatzung im ukrainischen Gebiet Cherson lässt nach dem Nordufer des Flusses Dnipro jetzt auch einen Streifen am Südufer von Zivilisten räumen. Die Aktion werde in höchstens drei Tagen abgeschlossen sein, sagte Verwaltungschef Wladimir Saldo im russischen Fernsehen. Es gehe um einen 15 Kilometer breiten Streifen auf dem südlichen Ufer. Saldo machte keine Angaben zur Zahl der Zivilisten in dem Gebiet. Russland hat das Gebiet Cherson für annektiert erklärt./fko/DP/stw