WIESBADEN (dpa-AFX) - Unter den schwierigen Bedingungen der Gaskrise und einer historisch hohen Inflation gehen die Tarifgespräche in der deutschen Chemie- und Pharmabranche weiter. Die Gewerkschaft IG BCE und der Arbeitgeberverband BAVC wollen ihre Verhandlungen am Sonntagmittag in Wiesbaden fortsetzen. Um mehr Zeit für Kompromisse zu finden, wurden die Gespräche um einen Tag vorgezogen. Sie sind noch bis Dienstag angesetzt. Dem Vernehmen nach gibt es gute Chancen auf eine Einigung.

Die Gespräche für die rund 580 000 Branchen-Beschäftigten zählen zu den wichtigsten Tarifverhandlungen in nächster Zeit neben denen in der Metall- und Elektroindustrie sowie für den Öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen. Tarifrunden stehen derzeit besonders im Fokus wegen der hohen Inflation: Während die Gewerkschaften hohe Lohnsteigerungen durchsetzen wollen, warnen manche Ökonomen vor einer Lohn-Preis-Spirale, welche die Inflation noch anheizen könnte.

Vor der dritten Runde am Sonntag in Wiesbaden hat die IG BCE wegen der stark gestiegenen Verbraucherpreise auf deutliche Entgeltsteigerungen gepocht. Die Chemie-Arbeitgeber verweisen dagegen auf eine trübe Lage vieler Firmen in der energieintensiven Branche.

Schon bei den vorherigen Tarifgesprächen im Frühjahr hatte die IG BCE Gehaltssteigerungen oberhalb der Inflationsrate für die Chemie- und Pharmabranche gefordert, aber keine konkrete Zahl genannt. Wegen der Unsicherheit um den Ukraine-Krieg einigten sich IG BCE und BAVC damals zunächst auf einen Teilabschluss als Brückenlösung, die Ende Oktober ausläuft: eine Einmalzahlung von 1400 Euro pro Beschäftigtem.

Die einstige Hoffnung, dass sich die wirtschaftliche Lage bis Herbst bessern könnte, hat sich aber zerschlagen. Die Inflation hat seither noch angezogen und die Gaskrise für die Chemie hat sich zugespitzt. So erwartet der Verband der Chemischen Industrie, dass die Produktion in der Chemie- und Pharmabranche dieses Jahr um 5,5 Prozent sinkt.

Helfen könnten nun dem Vernehmen nach Flexibilitätsklauseln und erneute Einmalzahlungen, zumal die Bundesregierung beschlossen hat, letztere in Höhe von bis zu 3000 Euro je Arbeitnehmer von Steuern und Abgaben zu befreien. Die IG BCE verlangt aber auch dauerhafte Lohnsteigerungen, die sich in den Tariftabellen niederschlagen.

Trotz aller Differenzen sehen die Tarifparteien Chancen auf eine Einigung. Die Branche habe derzeit schon genug Probleme, sagte BAVC-Verhandlungsführer Hans Oberschulte jüngst der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". "Wir wollen dem Oktober eine Chance geben."

Ohnehin ist die Chemie- und Pharmabranche nicht für eskalierende Tarifkonflikte bekannt. Streiks hat es hier seit mehr als 50 Jahren nicht mehr gegeben - der letzte fand im Jahr 1971 statt./als/DP/zb