BERLIN (dpa-AFX) - Die Wäsche waschen oder das E-Auto zuhause laden genau dann, wenn der Strom am günstigsten ist: Das ist die Idee hinter "dynamischen Stromtarifen". Ab Jahresbeginn müssen alle Stromversorger Kundinnen und Kunden einen solchen Tarif anbieten. Das bietet Chancen - aber auch Risiken.
Dynamische Tarife
Der Preis bei dynamischen Tarifen ist an den aktuellen Börsenstrompreis gekoppelt. Der Strompreis kann also stündlich oder täglich schwanken, abhängig von Angebot und Nachfrage an der Strombörse. Verbraucherinnen und Verbraucher können Strom zu Zeiten nutzen, in denen er günstiger ist.
Laut dem Portal Finanztip haben die meisten Stromtarife für Haushaltsstrom einen fixen Preis. Die meisten dynamischen Stromtarife sind nach Darstellung des Vergleichsportals Verivox monatlich kündbar, sodass Kunden bei langfristigen Hochpreisphasen an der Strombörse notfalls wechseln können.
Chancen und Risiken
"Dynamische Strompreistarife können für Kunden sinnvoll sein, wenn sie über eine Möglichkeit verfügen, ihren Strombedarf in Zeiten zu verlagern, in denen sie Strom zu günstigeren Preisen beziehen können", sagt Kerstin Andreae, Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft. "Folgendes Risiko ist zu bedenken: Bei dynamischen Tarifen tragen Verbraucher das Risiko teilweise stark schwankender Preise an der Strombörse selbst."
Zuletzt hatten stark gestiegene Börsenstrompreise für Aufsehen gesorgt vor dem Hintergrund von "Dunkelflauten" - wenn also wenig Wind weht und wenig Sonne scheint und somit wenig günstiger Strom aus erneuerbaren Energien produziert wird.
Ein Sprecher des Stadtwerkeverbandes VKU sagte, dynamische Tarife könnten eine gute Wahl sein etwa für Besitzer von E-Autos, die ihre Autos flexibel laden können, oder für Besitzer von Wärmepumpen - "vereinfacht gesagt: für alle diejenigen, die ihren Stromverbrauch flexibel anpassen oder zeitlich verschieben können". Der Strompreis direkt an der Strombörse habe aber mitunter starke Schwankungen. "Da bleiben fixe, mengenbasierte Tarife oft die risikoärmere Wahl."
Der Stromanbieter Tibber warnte auf der Plattform X kürzlich wegen eines Rückgangs der Windproduktion: "Wenn ihr stündlich dynamisch abgerechnet werdet, vermeidet die Peaks. Auf mehr Wind und kleinere Preise."
Voraussetzung für dynamische Tarife
Voraussetzung für die Nutzung eines dynamischen Stromtarifs ist ein "intelligentes Messsystem" - das ist ein digitaler Stromzähler, der auch als Smart Meter bezeichnet wird. Dieser ermöglicht die Übermittlung aktueller Verbrauchsdaten. Smart Meter seien aber noch nicht ausreichend im Massenmarkt verbreitet, erläutert Andreae.
Grundsätzlich ist der Einbau verpflichtend bei allen Verbrauchern ab einem Jahresstromverbrauch von über 6.000 Kilowattstunden. Das erreichen nicht viele private Haushalte. Verbraucher haben aber die Möglichkeit, den Einbau zu verlangen, ab 2025 muss der sogenannte Messstellenbetreiber diesen dann innerhalb von 4 Monaten vornehmen. Laut Wirtschaftsministerium sollen bis 2032 die Smart Meter flächendeckend in Haushalten und Unternehmen zum Einsatz kommen.
Tarife bisher zurückhaltend genutzt
Dynamische Tarife seien auf dem Markt bereits breit verfügbar, so Andreae. "Sie werden jedoch noch vergleichsweise wenig nachgefragt, da oft der Aufwand zur Nutzung günstiger Strompreise als zu hoch empfunden wird. Zudem ist das mögliche Einsparpotenzial häufig überschaubar, denn der reine Beschaffungspreis für Strom macht nur einen Bruchteil des Endkundenpreises aus. Hinzu kommen, wie bei Festpreisen, weitere Preisbestandteile wie Umlagen, Steuern und Netzentgelte."
Ende Oktober ergab eine forsa-Befragung im Auftrag des Verbraucherzentrale Bundesverbandes, dass sich 81 Prozent der Haushalte zu dynamischen Stromtarifen noch immer eher schlecht oder überhaupt nicht informiert fühlten. Mehr als die Hälfte kenne sie gar nicht. Um Verbraucherinnen und Verbraucher vor extremen Preisschwankungen zu schützen, sollten Preisabsicherungen und andere Preisschutzmechanismen entwickelt werden.
Fast alle Versorger setzen Vorgabe um
Eine Stichprobenanalyse des Vergleichsportals Verivox ergab: Während vor einem Jahr noch kaum ein Grundversorger einen dynamischen Tarif im Angebot hatte, erfülle ein Großteil der Anbieter vor Ablauf der Frist die neue Vorgabe. Verivox untersuchte die Angebote der lokalen Grundversorger in den 50 größten deutschen Städten. Stromversorger mit mehr als 100.000 Kunden müssen schon heute mindestens einen dynamischen Tarif im Angebot haben.
Eine Fünfjahresanalyse zeigt allerdings laut Verivox: Für einen durchschnittlichen Haushalt lohnen sich solche Börsenstromtarife preislich bisher nicht. Thorsten Storck, Energieexperte bei Verivox, sagte: "Zwar gab es immer wieder Phasen, in denen dynamische Tarife auch günstiger waren, allerdings unterliegen sie teilweise enormen Preisschwankungen."
Dieses Kostenrisiko trage nicht wie sonst der Versorger, sondern in vollem Umfang der Kunde. "Für einen durchschnittlichen Haushalt lohnt sich der Aufwand, den alltäglichen Stromverbrauch von Wasch- oder Spülmaschine in die jeweils günstigste Zeit zu legen derzeit selten. Wird regelmäßig ein E-Auto aufgeladen oder eine Wärmepumpe betrieben und ein smartes Energiemanagementsystem eingesetzt, kann sich das Bild aber drehen."/hoe/DP/he