FRANKFURT (DEUTSCHE-BOERSE AG) - Warum das Scheitern der Riester-Reform nur ein weiteres Kapitel eines langjährigen und eklatanten Staatsversagens ist und welche Lehren Anleger für sich und ihre Altersversorgung ziehen sollten, schreibt Ali Masarwah, Fondsanalyst und Geschäftsführer des Finanzdienstleisters envestor.
2. Dezember 2024. FRANKFURT (envestor). Das Märchen der drei Brüder, aufgezeichnet von den Brüdern Grimm und veröffentlicht im Jahr 1815, hat ein gutes Ende. Drei Brüder ziehen in die Welt, um ihr Glück zu machen. Sie kehren mit unterschiedlichen Talenten zurück. Zwar soll nur der tüchtigste mit dem väterlichen Erbe belohnt werden, doch weil die drei Brüder zusammenhalten, finden sie alle einen gerechten Weg zum Glück.
Anfang des 21. Jahrhunderts zogen drei Anlegende in die Welt mit dem Ziel, ihre private Altersversorgung auf sichere Füße zu stellen. Einer landete bei einer fondsgebundenen Rentenversicherung. Diese machte allerdings nur den Vertrieb reich und warf so magere Renditen ab, dass der Anleger die Flinte ins Korn warf und kündigte, was wegen der Stornogebühren aus der Sache ein Verlustgeschäft machte. Die zweite Anlegerin schloss wegen der Zulagen für sich und ihre Kinder eine Riester-Rente ab. Wegen der hohen Kosten und der Mini-Zinsen warf diese nichts ab. Nach dem Gespräch mit einem seriösen Finanzberater beschloss die Anlegerin, den Vertrag ruhen zu lassen. Sie steht nun, eine Generation später, wieder ganz am Anfang. Dem dritten Anleger war die Sache nicht geheuer, und er machte ? nichts. Wegen der vielen Medienberichte über das Scheitern der Riester-Rente und Horror-Geschichten aus dem Freundeskreis, fühlt er sich in seiner Ansicht bestätigt, dass ihm gierige Produktanbieter und maßlose Vertriebe nur das Geld aus der Tasche ziehen wollen.
Wir wissen nicht, wofür sich die drei Anlegende in Sachen Altersversorgung künftig entscheiden werden, können allerdings eines ganz sicher sagen: Die Uhr tickt, die drei gehören zu einer verlorenen Generation, der bis zum Ruhestand nicht mehr viel Zeit bleibt. Wir sind beim Umschlag von der fiktionalen Geschichte zur Realität der Anleger in Deutschland. Anlegende, was tun?
Die Pläne der Ampel-Regierung über die Reform der privaten Altersvorsorge haben mich zwischenzeitlich optimistisch gestimmt, dass der Staat zumindest ansatzweise bemüht sein könnte, Millionen von Menschen in diesem Land zu einer besseren Altersversorgung zu verhelfen. Großzügige Förderregeln, ein Ende der unsäglichen Riester-Garantien, die Portabilität von Altverträgen in ein neues "Vorsorgedepot" - all das schien eine Reparatur von Millionen von Riester-Verträgen möglich zu machen. Um fünf vor zwölf zwar, aber immerhin. Doch mit dem Scheitern der "Ampel" sind auch diese Pläne Makulatur. Das stärkt nicht das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Reformbemühungen des Staates und sollte der finale Weckruf für Anlegende sein, die Vorsorge in die eigenen Hände zu nehmen. Fünf einfache Regeln für den Start in die neue Verantwortung:
1. Bewusstsein schaffen
Bevor Sie starten, ist es ganz wichtig zu verinnerlichen, dass es nie zu spät ist. Wer erst ab Mitte oder Ende 40 oder sogar später anfängt, vorzusorgen, hat noch immer Zeit, Vermögen aufzubauen. Kopf hoch und ?"rmel hochkrempeln - es geht um Ihre finanzielle Gesundheit!
2. Informieren und Interesse zeigen
In der Weihnachtszeit zerbrechen Sie sich den Kopf und verwenden viel Zeit für die Geschenke für Ihre Lieben? Denken Sie auch an sich, schenken Sie mit sich dreimal eine Stunde Zeit und verschaffen Sie sich in der Nachweihnachtszeit im stillen Kämmerlein einen Überblick über die verschiedenen Möglichkeiten der Altersvorsorge und den Möglichkeiten der Kapitalmärkte. Nutzen Sie dabei verschiedene Quellen wie Bücher seriöser Experten (keine Crash-Propheten!), professionelle Finanzportale und Publikationen von Verbraucherschutzorganisationen. Je mehr Sie sich mit dem Thema auseinandersetzen, desto besser können Sie fundierte Entscheidungen treffen.
3. Beratung vs. Selbstentscheidung abwägen
Wer Spaß am Investieren hat, sollte die Altersvorsorge selbst in die Hand nehmen. Viele Finanzportale und seriöse Medien und Blogger bieten ausreichend viele Informationen. Wer sich dagegen mit dem Thema Finanzen nicht anfreunden kann, sollte eine professionelle Beratung in Anspruch nehmen. Unbedingt sollte der Berater Ihres Vertrauens unabhängig und transparent sein und Ihnen einen Zugang zum ganzen Markt an Fonds und ETFs ermöglichen. An Banken oder Versicherungen gebundene Verkäufer sind nicht neutral, geschweige denn unabhängig.
4. Kosten reduzieren
Egal, ob Sie Selbstentscheider sind oder sich beraten lassen: Achten Sie bei der Auswahl von Altersvorsorgeprodukten auf die Kosten. Hohe Gebühren schmälern die Rendite - und zwar garantiert! ETFs und günstige Fonds sind die Produkte der Wahl. Verbannen Sie Produkte mit Garantien aus Ihrem Depot: Versicherungen können Risiken absichern, kosteneffizient für Sie investieren können sie wegen hoher Produkt- und Vertriebskosten in der Regel nicht.
5. Regelmäßige Überprüfung und Anpassung
Betrachten Sie Ihre Altersvorsorge als fortlaufenden Prozess. Überprüfen Sie Ihre Strategie regelmäßig, insbesondere bei größeren Lebensveränderungen wie Jobwechsel oder Familiengründung. Investieren Sie langfristig, aber bleiben Sie flexibel und bereit, Ihre Vorsorgestrategie anzupassen, wenn sich Ihre Lebensumstände oder die Marktbedingungen ändern. Schlagen Sie einen Mittelweg ein zwischen Diversifikation und dem Fokus auf das Wesentliche. Wenn Sie mehr als 15 Fonds und ETFs im Portfolio haben, sollte das Fragen aufwerfen. Zu viele Produkte stehen der Effizienz des Anlageprozesses genauso entgegen wie eine zu hohe Konzentration.
Von Ali Masarwah, 2. Dezember 2024, © envestor.de
Ali Masarwah ist Fondsanalyst und Geschäftsführer von envestor.de, eine der wenigen Fondsplattform, die Cashbacks auf Fonds-Vertriebsgebühren zahlt. Masarwah analysiert seit über 20 Jahren Märkte, Fonds und ETFs, zuletzt als Analyst beim Research-Haus Morningstar. Seine Expertise wird auch von zahlreichen Finanzmedien im deutschsprachigen Raum geschätzt.
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