SEATTLE (dpa-AFX) - Bayer hat in den USA im Rechtsstreit um angebliche Gesundheitsfolgen der seit Jahrzehnten verbotenen Chemikalie PCB eine empfindliche Niederlage hinnehmen müssen. Eine Geschworenen-Jury am King County Superior Court im Bundesstaat Washington sprach ehemaligen Schülern und Eltern einer Schule im Raum Seattle Schadenersatz in Höhe von 857 Millionen US-Dollar (785 Millionen Euro) zu.

Die Kläger machen das Umweltgift PCB vom US-Hersteller Monsanto für ihre Erkrankungen verantwortlich. Bayer hatte Monsanto im Jahr 2018 übernommen. Der Dax-Konzern kündigte in einer Stellungnahme an, gegen das Urteil vorzugehen. Anleger an der Börse nahmen den Jury-Spruch gelassen auf: Die zuletzt arg gebeutelten Bayer-Aktien notierten leicht im Plus.

Das aktuelle Verfahren ist eines von mehreren rund um das Sky Valley Education Center nahe Seattle, in denen Geschworenen-Jurys zugunsten der Ankläger entschieden. Die von den Geschworenen aktuell geforderte Gesamtsumme setzt sich aus 73 Millionen Dollar Schadenersatz sowie 784 Millionen Dollar Strafschadenersatz zusammen. Gerade letztere Komponente wird von Richtern indes nicht selten deutlich reduziert.

"Wir können das Urteil nicht nachvollziehen und werden Rechtsmittel dagegen einlegen, um die Entscheidung aufzuheben und den überhöhten Schadensersatz zu reduzieren", hieß es von Bayer. Es gebe keine objektiven Beweise, dass die Kläger gefährlichen PCB-Niveaus ausgesetzt gewesen seien. Zudem habe Bayer erst jüngst in einem ähnlichen Verfahren gewonnen.

Wie auch der milliardenschwere Streit rund um angebliche Krebsrisiken des Unkrautvernichters Glyphosat sind die PCB-Verfahren ein teures Erbe des vor gut fünf Jahren für über 60 Milliarden Dollar von Bayer übernommenen US-Saatgutriesen Monsanto. Das Unternehmen war von 1935 bis 1977 der einzige Hersteller von Polychlorierten Biphenylen (PCB) in den USA. 1979 wurde die Chemikalie dort verboten. In Deutschland darf PCB seit Ende der 1980er-Jahre nicht mehr verwendet werden.

Mit Blick auf die vielen PCB-Streitigkeiten betont Bayer schon länger, dass Monsanto eigentlich weitreichende Haftungsfreistellungen mit ehemaligen Abnehmern der Chemikalie vereinbart hatte. "Darin haben diese Unternehmen zugestimmt, Monsanto von den Kosten möglicher Rechtsstreitigkeiten freizustellen, um im Gegenzug in den 1970er Jahren weiterhin PCB zu erhalten." Bayer versucht dies auch vor Gericht durchzusetzen, um Rechtskosten erstattet zu bekommen. Analystin Jo Walton von der Schweizer Bank UBS schrieb in einer ersten Reaktion, Bayer habe wohl auch deshalb nur wenige Rückstellungen für finanzielle PCB-Risiken in der Bilanz.

Die Bayer-Aktien zählen 2023 bislang mit einem Minus von gut einem Drittel zu den schwächsten Werten im Dax , der im selben Zeitraum um gut ein Fünftel zulegte. Zuletzt hatte ein Studienflop für den Hoffnungsträger Asundexian - einem Blutgerinnungshemmer in der Entwicklung - die Talfahrt der Papiere beschleunigt. Hinzu kommen potenzielle Milliardenrisiken durch die Glyphosat- und PCB-Rechtsstreitigkeiten.

Im Zusammenhang mit PCB verwies Analyst Sebastian Bray von der Privatbank Berenberg Ende November auf einen wegweisenden Fall, in dem noch 2023 eine Entscheidung anstehen könnte. Sollte Bayer den Fall Erickson im US-Bundesstaat Washington verlieren, drohe weiteres Ungemach in anderen Staaten./mis/tav/stk