FRANKFURT/LONDON/NEW YORK (dpa-AFX) - 2022 haben die führenden Notenbanken mit einer wegen der hohen Inflation strafferen Geldpolitik sowohl Aktien als auch Anleihen unter Druck gesetzt. Anleger machten die schmerzhafte Erfahrung, dass die traditionelle Absicherung der Portfolios durch verschiedene, sich unterschiedlich entwickelnde Anlageklassen nicht mehr funktionierte. Die höheren Renditen erfreuen zudem Zinssparer noch nicht so recht, denn Zinsen für Tagesgeld & Co hinken der Inflation noch weit hinterher. Zudem verteuerten sich Kredite für Unternehmen sowie Privatpersonen. Auch das schürt Rezessionssorgen.
Allerdings schwächt sich in den USA die Inflation bereits etwas ab. Dieser positive Trend könnte sich im Laufe des neuen Jahres fortsetzen und positiv auf die Finanzmärkte abfärben. Wegen der aktuellen geopolitischen Lage - allen voran die Entwicklung des Ukraine-Kriegs - sei gleichwohl weiterhin Vorsicht geboten, sagte Richard Zellmann, Geschäftsführer der Frankfurter Asset-Management-Boutique First Private Investment Management.
AKTIEN EUROPA: Von den Notenbanken dürfen die Märkte zunächst keine Unterstützung erwarten. So sind die US-Währungshüter zwar etwas vom Gas gegangen, doch weniger Geschwindigkeit bedeutet noch keinen Richtungswechsel. Ferner machte EZB-Chefin Christine Lagarde zuletzt deutlich, dass der von den Märkten erwartete Zinshöhepunkt von drei Prozent zu niedrig angesetzt sei. Allen Unkenrufen zum Trotz könnte 2023 aber auch positive Überraschungen für die Anleger bringen. So dürften sich die gestörten Lieferketten zunehmend stabilisieren, schrieb Robert Halver, Leiter der Kapitalmarktanalyse der Baader Bank. Das hätte auch Folgen für die Preise und damit letztlich auch für den Aktienmarkt, der sich erholen könnte.
AKTIEN USA: Experten rechnen mit einem schwachen Start ins Börsenjahr 2023, bevor sich die Perspektiven aufhellen. Die rasanten Leitzinserhöhungen der US-Notenbank erinnern an die Fed der 1980er, die unter Paul Volcker im letztlich erfolgreichen Ringen gegen eine zu hohe Inflation die Wirtschaft in eine tiefe Rezession gestürzt hatte. Sorgen, dass sich diese Entwicklung rund 40 Jahre später wiederholt, trieben die Investoren aktuell um, erklärt Marktstratege Michael Wilson von der US-Bank Morgan Stanley. Gleichzeitig fürchteten sie aber auch, dass die Notenbank nicht stark genug auf die Zinsbremse tritt und die Aktienbewertungen damit ähnlich unter Druck geraten wie in den 1970ern.
AKTIEN ASIEN: Im neuen Jahr könnten die Chancen in Fernost größer sein als in westlichen Märkten: Den Experten von Morgan Stanley zufolge dürfte Asien eine konjunkturelle Erholung anführen - unterstützt durch die Widerstandsfähigkeit der Binnennachfrage. Sie favorisieren die Börsen in Südkorea sowie Taiwan wegen des stärkeren Schwerpunktes auf Halbleiter- und Hardware-Unternehmen im Technologie-Bereich. In China dürfte der Fokus auf dem Weg aus der Corona-Pandemie liegen, nachdem die strikte Null-Covid-Strategie aufgehoben wurde. Bei japanischen Aktien glaubt die US-Bank JPMorgan an eine robuste Entwicklung. Die Experten verweisen unter anderem auf relativ widerstandsfähige Unternehmensgewinne, attraktive Bewertungen und das niedrigere Inflationsrisiko.
STAATSANLEIHEN: Am Anleihemarkt dürfte die Lage zunächst noch schwierig bleiben. Zuletzt haben große Notenbanken ihr Zinserhöhungstempo zwar etwas verlangsamt. Ein klarer Zinsgipfel aber ist noch nicht in Sicht, denn es ist unklar, wie nachhaltig der jüngste Rückgang der Inflation sein wird. Anleger können sich jedoch künftig wieder auf einen Zinscoupon freuen. "Mit der schlagartigen Zinsanpassung bewegen sich die Renditemärkte wieder in ein normaleres und der Anlageklasse entsprechendes Profil hin", schrieb Joachim Schallmayer, Chefanlagestratege bei der Dekabank.
UNTERNEHMENSANLEIHEN: Der Anstieg der Anleiherenditen habe den Anlegern im Jahr 2022 herbe Kursverluste beschert, erinnerte Jan Viebig, der Chefanlagestratege des französisch-deutschen Bankhauses Oddo BHF. Der positive Aspekt davon sei auch hier: "Die Zeit der jämmerlichen Niedrig-, Null- und Negativzinssätze scheint hinter uns zu liegen." Mit Anleihen, vor allem Unternehmensanleihen, lasse sich wieder eine akzeptable Rendite verdienen. Der Risikoaufschlag gegenüber Staatsanleihen sei im längerfristigen Vergleich deutlich überdurchschnittlich. Nach Einschätzung des Experten kompensieren diese Renditen die noch bestehenden Kursrisiken, vor allem wenn man bei der durchschnittlichen Laufzeit kurz bleibe.
IMMOBILIENFONDS: Nach Ansicht der Meag, des Vermögensmanagers des Rückversicherers Munich Re, steigt durch die Zinswende der Druck auf die Immobilienmärkte, denn Investoren erwarteten auch auf diesem Gebiet höhere Renditen. Die Renditen offener Immobilienpublikumsfonds in Deutschland hätten derweil jüngst die coronabedingte Delle überwunden und seit Frühjahr wieder die Zwei-Prozent-Marke überschritten, schrieb Analyst Stefan Mitropoulos von der Landesbank Hessen-Thüringen. Angesichts der schwierigeren wirtschaftlichen Lage in den wichtigsten Investmentländern dieser Fonds und der Belastung durch höhere Zinsen dürften die Renditen im neuen Jahr zwar etwas niedriger ausfallen. Die Experten rechnen allerdings nicht mit einer kräftigen Abschwächung wie während der Corona-Pandemie, sondern mit einer langsamen Bewegung in Richtung zwei Prozent bis Ende 2023. Denn Immobilienmärkte reagierten üblicherweise mit Verzögerung auf die konjunkturelle Situation.
ROHSTOFFE: Rohstoffe haben 2022 andere Anlageklassen teils deutlich hinter sich gelassen. Der Trend könnte sich zu Beginn des neuen Jahres zunächst fortsetzen: "Der Aufbau neuer Lieferketten und der Infrastruktur für Mobilität und Energieversorgung sowie die Energiewende erfordern starke Investitionen und bedingen einen Wettlauf um knappe Rohstoffe", schrieb Bernd Meyer, Chefanlagestratege der Privatbank Berenberg. Das unterscheide die aktuelle Situation von vergleichbaren in der Vergangenheit, wo realwirtschaftliche Exzesse in einer Rezession erst wieder ausgeglichen werden mussten. Im Gegensatz dazu "erlebten wir zuletzt einen exogenen Schock und wir müssen investieren, um den Schock hinter uns zu lassen". Das biete Chancen. Rohstoffe, insbesondere Industriemetalle, sind für den Fachmann klare Profiteure des veränderten Umfelds. Für die weitere Entwicklung des Goldpreises wird Experten zufolge die US-Geldpolitik und damit verbunden die Kursentwicklung des amerikanischen Dollar ein entscheidender Faktor sein.
DEVISEN: 2022 machten die weltweiten Turbulenzen auch vor dem Devisenmarkt nicht Halt. Die Analysten der Schweizer Bank UBS gehen davon aus, dass die ausgedehnte Phase heftiger Schwankungen andauern wird, was die Anleger dazu veranlassen dürfte, "sichere Häfen" wie den US-Dollar zu suchen. Der Schweizer Franken könnte gegenüber dem Euro weiter an Wert gewinnen. Gründe dafür seien die erwartete Rezession in Europa, die Sorgen bezüglich des Russland-Ukraine-Krieges, die Befürchtungen um die Tragfähigkeit der europäischen Staatsverschuldung, der hohe Handelsbilanzüberschuss der Schweiz und die Bereitschaft der Schweizerischen Nationalbank, den Franken aufwerten zu lassen./la/mis/mf/tih/jsl/mis