APA ots news: Gestiegene Finanzstabilitätsrisiken erfordern umsichtige Gewinnausschüttungspolitik der Banken
Präsentation des 44. Financial Stability Report der OeNB
Wien (APA-ots) - Die Risiken für die Finanzmarktstabilität haben im Laufe
des Jahres 2022 deutlich zugenommen. Höhere Kreditzinssätze sowie die
steigende Inflation belasten private Haushalte und Unternehmen.
Dadurch hat sich das Wachstum im Bereich der Wohnimmobilienkredite
jüngst verlangsamt. Die neue Verordnung zur nachhaltigen
Kreditvergabe im Wohnimmobilienbereich, durch die die auch bisher
schon geltenden Kriterien verbindlich gemacht wurden, wurde
notwendig, um systemischen Risiken aus einer Verschlechterung der
Kreditqualität entgegenzuwirken. In dem herausfordernden Umfeld
fielen die Gewinne der österreichischen Banken im ersten Halbjahr
2022 dennoch hoch aus. Um sich für die gestiegenen wirtschaftlichen
und geopolitischen Risiken zu wappnen, sind die Banken angehalten,
bei der Gewinnausschüttung umsichtig zu agieren.
Die Straffung der Geldpolitik des Eurosystems lässt Kundenzinssätze
steigen
Die Dynamik der österreichischen Wirtschaft schwächt sich nach einem
kräftigen Wachstum im ersten Halbjahr 2022 ab. Die Unsicherheiten im
Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine sowie die hohe Inflation
wirken dämpfend auf die Konjunktur. Um den Preissteigerungen
entgegenzuwirken, hat die EZB in ihrer jüngsten Entscheidung weitere
restriktive Maßnahmen beschlossen. "Die Straffung der Geldpolitik
überträgt sich bereits auf die Kundenzinsen im österreichischen
Kreditgeschäft", sagte Gouverneur Robert Holzmann anlässlich der
Präsentation der 44. Ausgabe des Financial Stability Report der
Oesterreichischen Nationalbank (OeNB). Trotz steigender
Kundenzinssätze ist die Unternehmensnachfrage nach Bankkrediten nach
wie vor hoch. Lieferkettenprobleme infolge des Kriegs in der Ukraine
sowie die jüngsten Preissteigerungen erhöhen den Liquiditätsbedarf
der österreichischen Unternehmen. Die Verschuldungsquote des
Unternehmenssektors ist zuletzt leicht gestiegen, liegt aber deutlich
unter dem Euroraum-Durchschnitt. Die Anzahl der Unternehmen, die
ihren Zahlungsverpflichtungen nicht nachkommen können, ist nach wie
vor stabil, wie jüngste Zahlen zum Insolvenzgeschehen zeigen.
Schuldendienst von Haushalten mit variabel verzinsten Krediten steigt
Das Wachstum der Bankkredite an Haushalte, insbesondere im Bereich
der Wohnimmobilienfinanzierung, hat sich zuletzt abgeschwächt. Es
befindet sich jedoch mit 4,7 % per September 2022 nach wie vor auf
einem hohen Niveau, und somit immer noch höher als in allen Jahren
von 2008 bis 2020. Im Verhältnis zum verfügbaren Haushaltseinkommen
weist die Verschuldung im Haushaltssektor trotz hohen Kreditwachstums
in der aggregierten Betrachtung über verschuldete und schuldenfreie
Haushalte hinweg keinen Aufwärtstrend auf. Im aktuellen Umfeld hoher
Inflationsraten und steigender Kreditzinsen sinkt jedoch der
finanzielle Spielraum von Kreditnehmer:innen. Rund die Hälfte aller
neu vergebenen Bankkredite in den letzten fünf Jahren sind variabel
verzinst, sodass viele verschuldete Haushalte mit einem deutlichen
Anstieg ihres Schuldendienstes konfrontiert sind. Bei gleichzeitig
höheren Ausgaben aufgrund starker Preisanstiege nimmt der Anteil an
Haushalten, die in Rückzahlungsschwierigkeiten geraten könnten, zu.
Neue Verordnung zur nachhaltigen Wohnimmobilienfinanzierung in
Österreich reduziert Risiken
Die systemischen Risiken aus der Wohnimmobilienfinanzierung sind in
den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen, was vor allem auf
steigende Preise, die steigende Verschuldung der Kreditnehmer:innen,
den hohen Anteil zu ursprünglich niedrigen Zinssätzen abgeschlossener
variabel verzinster Finanzierungen sowie auf die unzureichende
Einhaltung der auch bisher schon als Empfehlungen gültigen Standards
für nachhaltige Wohnimmobilienkreditvergabe zurückzuführen war. Auch
im europäischen Vergleich sind die Entwicklungen in Österreich
auffällig. Zahlreiche internationale Organisationen wie der IWF, die
OECD, die EZB und der Europäische Ausschuss für Systemrisiken
(European Systemic Risk Board - ESRB) haben daher für Österreich
kreditnehmer:innenbezogenene Maßnahmen empfohlen. Derartige Maßnahmen
sind auch in den meisten EU-Mitgliedstaaten bereits im Einsatz und
gelten als internationaler Standard. Aufgrund des intensiven
Wettbewerbsumfelds wurden die entsprechenden Empfehlungen des
Finanzmarktstabilitätsgremiums (FMSG) aus den Jahren 2016 bzw. 2018
nicht ausreichend eingehalten, weshalb eine rechtlich bindende
Verordnung mit August 2022 notwendig wurde. Diese trägt zur Sicherung
der Finanzmarktstabilität bei, indem sie die exzessiven Aspekte der
Immobilienkreditvergabe wie zu hohes Kreditwachstum, zu geringe
Besicherung, zu wenig eigene Mittel, zu hoher Schuldendienst und zu
lange Laufzeiten reduziert. Gerade im aktuellen Umfeld von stark
steigenden Zinsen und Lebenshaltungskosten sowie sehr hohen
Immobilienpreisen ist dies nicht nur aus Gründen der
Finanzmarktstabilität wichtig, sondern auch um eine Überschuldung von
Haushalten zu vermeiden. Es ist daher sowohl im Interesse der Banken
als auch der Kreditnehmer:innen, dass leistbare Immobilienerwerbe
auch weiterhin finanziert werden können, während eine exzessive und
nicht nachhaltige Haushaltsverschuldung nicht als Ersatz für
leistbares Wohnen dienen kann.
Einbehaltung von Gewinnen soll die Risikotragfähigkeit des
Bankensektors erhöhen
Die jüngsten Ergebnisse des OeNB-Stresstests zeigen, dass der
österreichische Bankensektor eine solide Risikotragfähigkeit
aufweist. Die negativen Auswirkungen der Inflation sowie die
anhaltenden geopolitischen Spannungen führten im Lauf des Jahres 2022
jedoch zu einem Anstieg der Finanzmarktstabilitätsrisiken. Dessen
ungeachtet erzielten die Banken im ersten Halbjahr 2022 einen Gewinn
in der Höhe von 3,8 Mrd EUR, wobei sie von steigenden Zinssätzen,
einer hohen Kreditnachfrage und positiven Sondereffekten
profitierten. Vor dem Hintergrund einer allgemeinen Risikowarnung für
das EU-Finanzsystem seitens des ESRB sollte die gute Ertragslage der
österreichischen Banken für eine weitere Stärkung der Kapitalbasis
genützt werden. Vize-Gouverneur Gottfried Haber stellte klar: "Es ist
von großer Bedeutung, das im internationalen Vergleich hervorragende
Rating des österreichischen Bankensektors abzusichern und zu
erhalten. Die dadurch niedrigen Refinanzierungskosten der Banken
kommen nicht nur der Kreditwirtschaft, sondern letztlich auch der
gesamten Volkswirtschaft zugute." In diesem Zusammenhang wird auch
die geplante Erhöhung der makroprudenziellen Kapitalpuffer die
Resilienz und die Reputation des österreichischen Bankensektors
weiter stärken.
Empfehlungen der OeNB zur Stärkung der österreichischen
Finanzstabilität
Um für die gestiegenen Risiken gewappnet zu sein, empfiehlt die OeNB
den Banken daher
eine nachhaltige und vorausschauende Stärkung der Kapitalbasis,
insbesondere durch Zurückhaltung bei der Gewinnausschüttung,
die Einhaltung nachhaltiger Vergabestandards bei der Finanzierung
von Wohn- und Gewerbeimmobilien,
eine adäquate Kredit- und Zinsrisikosteuerung in einem volatilen
wirtschaftlichen Umfeld, insbesondere im Kontext einer langen Periode
geringer Risiken in der Vergangenheit,
weitere Effizienzsteigerungen zur Sicherung einer nachhaltigen
Profitabilität und
die Entwicklung und Umsetzung geeigneter Strategien zum Umgang mit
Herausforderungen aufgrund neuer Informationstechnologien,
Cyberrisiken und des Klimawandels.
Der halbjährlich in englischer Sprache erscheinende Financial
Stability Report der OeNB analysiert finanzstabilitätsrelevante
Entwicklungen in Österreich und im internationalen Umfeld sowie
Spezialthemen im Zusammenhang mit der Finanzstabilität.
Rückfragehinweis:
Oesterreichische Nationalbank
Dr. Christian Gutlederer
Pressesprecher
(+43-1) 404 20-6900
christian.gutlederer@oenb.at
www.oenb.at
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OTS0045 2022-11-22/10:00