FRANKFURT (dpa-AFX) - Die US-Investmentbank Goldman Sachs hat angesichts des verlangsamten Wirtschaftswachstums in Europa und politischer Ungewissheiten ihre Sektorempfehlungen angepasst. Risiken drohten etwa durch die Wahlen in den USA und Frankreich, aber auch durch die chinesische Wirtschaftsentwicklung und die Zollstreitigkeiten mit dem asiatischen Land, wie Portfoliostrategin Lilia Peytavin in einer am Mittwoch vorliegenden Strategie-Studie schrieb.

Peytavin empfiehlt zwar weiterhin eine Kombination aus Qualitäts- und Wachstumswerten einerseits und Substanzwerten andererseits, setzt aber nun deutlich stärker auf Defensivqualitäten. Das heißt, sie präferiert Werte, die weniger stark vom Auf und Ab der Wirtschaftsentwicklung abhängen. So gibt sie dem Telekomsektor - hochgestuft von "Underweight" auf "Overweight" - nun den Vorzug vor zyklischen Branchen wie Auto, Bau, Konsumgütern und Unternehmensdienstleistungen. Positiv ist sie außerdem gestimmt für britische Hausbauer sowie für Verlage und Rüstung in Europa.

Die Telekom-Branche sei bei zunehmenden politischen Risiken und Handelszöllen einer der defensivsten Sektoren. Zwar ist der Sektor laut Peytavin nach wie vor einer der am höchsten verschuldeten in Europa, diese Schulden seien jedoch langfristig. Darüber hinaus sei er unter den defensiven Sektoren der am wenigsten auf Anleiherenditen reagierende.

Angesichts der nun großen Mehrheit der Labour-Partei im britischen Parlament hält die Goldman-Analystin auch eine längerfristige Investition in Aktien britischer Hausbauer für interessant. Ebenso seien Verlage und Rüstungsunternehmen langfristig eine Option. Die Kurse von Verlagen könnten sich bei zunehmender handelspolitischer Unsicherheit überdurchschnittlich entwickeln.

Einige Verlage seien überdies dank ihrer Datenanhäufung KI-Profiteure sowie stark in den USA engagiert. Für den Rüstungsbereich erwartet Peytavin eine Erholung, nachdem die Rechtsextremen im französischen Parlament keine Mehrheit erhalten hatten. Eine mögliche weitere Präsidentschaft von Donald Trump in den USA könnte ferner zu höheren Verteidigungsausgaben in Europa führen.

Vorsichtig gestimmt ist die Analystin unterdessen für zyklische Werte und Unternehmen, die empfindlich auf Veränderungen der Kapitalkosten reagieren, denn diese könnten noch länger höher bleiben. Zudem rechnet sie mit einem sich weiter abschwächenden Wirtschaftswachstum. Nicht nur habe sich das reale Einkommenswachstum verlangsamt und die Stimmung der Verbraucher eingetrübt, auch ausufernde Zölle könnten ihr zufolge das Wirtschaftswachstum in Europa stärker belasten.

Die Auto- und die Baubranche stufte sie entsprechend auf "Underweight" ab und warnte vor möglichen Zollerhöhungen. Denn China, so erwartet Peytavin, werde gegen die jüngste Zollerhöhung der Europäischen Union auf chinesische Elektrofahrzeuge wahrscheinlich Vergeltungsmaßnahmen ergreifen.

Den Sektor Konsumgüter- und Konsumdienstleistungen senkte sie auf "Neutral" und verwies ebenfalls auf dessen Konjunkturanfälligkeit. Zudem sei er dem Bereich Luxusgüter ausgesetzt und recht stark vom China-Geschäft abhängig. Obendrein strich sie auch ihre Empfehlung für den Bereich Unternehmensdienstleister und verwies auch hier auf die Gefährdung des europäischen Wirtschaftswachstums durch den sich abschwächenden Konsum und mögliche weitere Zölle.

Von europäischen Unternehmen, die stark in China engagiert sind, rät die Goldman-Analystin nicht nur ab, sondern empfiehlt sogar, short zu gehen. Der Konsum in China sei seit Anfang des Jahres träge, begründete sie. Zudem habe die chinesische Regierung - abgesehen von den zunehmenden Handelsspannungen - auch noch angekündigt, Luxuskonsum zu besteuern. Mit Short-Positionen wird auf fallende Kurse gewettet. Daher werden die entsprechenden Papiere vorher nicht gekauft, sondern lediglich geliehen und am Markt verkauft. Die Hoffnung ist, sie nach den erwarteten Kursverlusten zu einem tieferen Kurs zurückkaufen zu können, um sie dann dem ursprünglichen Verleiher zurückzugeben.

Dagegen empfiehlt Peytavin längerfristige Investments in europäische Unternehmen, die in den USA exponiert sind. Diese profitierten tendenziell von einer Aufwertung des US-Dollar, was zu erwarten sei, wenn Trump im November die US-Wahlen gewinne. Die vom Markt eingeschätzte Wahrscheinlichkeit eines solchen Sieges ist ihr zufolge zuletzt gestiegen./lfi/ck/men