LE BOURGET (dpa-AFX) - Nach dem Geschäftseinbruch in der Corona-Krise hat die Luftfahrtbranche wieder auf Wachstum geschaltet. Hatten sich Airlines während der Pandemie mit der Bestellung neuer Jets zurückgehalten, bescherten Fluggesellschaften aus Indien den Herstellern Airbus
Airbus-Chef Guillaume Faury sieht die Luftfahrtindustrie jedenfalls vor großen Veränderungen. "In fünf, sechs, sieben Jahren werden die Karten neu gemischt", sagte der Manager dem "Handelsblatt". Er rief die Zulieferer auf, an Lösungen für Dekarbonisierung, aber auch Digitalisierung und Automatisierung zu arbeiten. In den nächsten Jahren werde sich entscheiden, "wer in der zivilen Luftfahrt die Plattformen für die kommenden Jahrzehnte mitgestaltet".
Trotz der schon spürbaren Folgen des Klimawandels wächst die Nachfrage nach Flugtickets weltweit immer weiter. Nach Einschätzung von Airbus dürfte der weltweite Flugverkehr bis 2042 im Schnitt um 3,6 Prozent zunehmen - pro Jahr. Die Zahl der Flugzeuge im Einsatz dürfte sich in dieser Zeit in etwa verdoppeln, schätzt auch Konkurrent Boeing.
Einen Großteil der Nachfrage erwarten beide Hersteller aus Asien und dem Pazifik-Raum. Etwa 40 Prozent der neuen Maschinen dürften in diese Weltregion gehen. Denn in wichtigen Ländern dort wächst die Mittelschicht; immer mehr Menschen können sich erstmals Flugreisen leisten. Erst im April hatte Indien mit 1,4 Milliarden Menschen China als bevölkerungsreichste Nation der Welt abgelöst.
Indische Fluggesellschaften bereiten sich auf die erwartete Nachfrage vor. Der Billigflieger Indigo orderte in Le Bourget 500 Maschinen aus Airbus' Modellfamilie A320neo. Dies sei der größte Einzelauftrag der Luftfahrtgeschichte, hieß es bei Airbus. Derzeit betreibt Indigo rund 300 Flugzeuge und hat bis Ende des Jahrzehnts noch 480 Airbus-Maschinen aus früheren Bestellungen zu bekommen. Die jetzt georderten 500 Jets sollen ab 2030 ausgeliefert werden. Bis 2029 ist die Produktion der Reihe ohnehin ausgebucht - so stark ist die Nachfrage.
Die einstige Staatsfluglinie Air India bestellte auf der Messe 470 neue Maschinen, davon 250 bei Airbus und 220 bei Boeing. Die Vorverträge dazu hatten die Geschäftspartner schon im Februar bekannt gegeben; in Le Bourget wurden die Bestellungen vertraglich fixiert. Auch dieser Deal galt aus Airline-Sicht als Rekordauftrag: Denn die Verträge umfassen auch große Jets wie den Airbus A350 und die Boeing-Modelle 787 und 777X.
Abseits des Indigo-Auftrags blieben wirklich neue große Deals auf der Messe jedoch rar. Der Flugzeugfinanzierer Avolon unterschrieb einen Vorvertrag über 20 Airbus-Großraumjets vom Typ A330neo. Airbus-Manager Scherer hat nach eigener Aussage noch einen weiteren Vertrag über Maschinen der Reihe abgeschlossen. Die Auftragsbücher für die Langstreckenmodelle A330neo und A350 füllten sich schnell, sagte er. Konkurrent Boeing hatte schon im Mai eine Großbestellung aus Irland erhalten: Da hatte Europas größter Billigflieger Ryanair
Während die Bestellungen wieder boomen, wissen die Hersteller kaum, wie sie den Bedarf erfüllen sollen. "Es gibt eine große Lücke zwischen Nachfrage und Angebot", hatte Airbus-Chef Faury vor Beginn der Messe prognostiziert. Dieser Zustand dürfte noch einige Jahre lang anhalten.
Denn es fehlt vorn und hinten an Bauteilen, und viele Zulieferer kommen mit der Produktion kaum hinterher. Oft liegen die Probleme bei Unternehmen, die in der Lieferkette mehrere Stufen vor der Endmontage liegen. Dort fehle es nach der Pandemie häufig an Mitarbeitern, heißt es in der Branche.
Unterdessen loten die Flugzeughersteller die Entwicklung einer neuen Generation von Mittelstreckenjets aus. Längst arbeitet Airbus an den Grundlagen für ein Passagierflugzeug mit Wasserstoff-Antrieb, das im Jahr 2035 fertig sein soll. Zudem will der Konzern zwischen 2035 und 2040 einen vergleichsweise konventionellen Nachfolger für seine Mittelstreckenjets fertig haben. "Wir brauchen Flugzeuge, die etwa 20 bis 25 Prozent weniger Treibstoff verbrauchen als die A320neo oder die A321neo, die wir heute einsetzen", sagte Faury dem Fachmagazin "Aviation Week".
Um diese Zeitpläne zu halten, stehen bei Airbus ab 2027 voraussichtlich Entscheidungen über gleich zwei neue Modelle an. Dabei gehe es jeweils um einen zweistelligen Milliarden-Euro-Betrag, sagte Michael Schöllhorn, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Luftfahrtindustrie (BDLI), und im Hauptjob Chef von Airbus' Rüstungs- und Raumfahrtsparte.
Auch Boeing lotet Optionen für einen Nachfolger seiner heutigen Mittelstreckenjets aus. Dieser soll etwa 20 bis 30 Prozent weniger Sprit verbrauchen als das derzeitige Modell 737 Max. Ein Teil dieser Einsparung müsse von den Triebwerken kommen, ein anderer Teil von der Aerodynamik, hatte Boeings Verkehrsflugzeugchef Stan Deal erklärt.
Den Hype um Flugtaxis sieht Airbus-Chef Faury unterdessen skeptisch. "Aus meiner Sicht sind die technologischen Lösungen noch nicht gut genug für den Markteinstieg", sagte er dem "Handelsblatt". Er glaube auf absehbare Zeit nicht an eine Marktreife. "Sobald sich das ändert, steht Airbus bereit, in diesen Markt einzusteigen."
Der deutsche Flugtaxi-Pionier Volocopter will seinen elektrischen Senkrechtstarter jedenfalls im Sommer 2024 einsatzbereit haben. Volocopter-Chef Dirk Hoke - ein früherer Airbus-Manager - will bis dahin die Zulassung des Typs Volocity erreichen - und fünf Maschinen bei den Olympischen Spielen rund um Paris einsetzen./stw/stk/jha/