Europäische Automobilindustrie am Abgrund: Schlechter als erwartet?

Der europäische Automobilsektor steckt in einer tiefen Krise, und die Realität übertrifft die bereits düsteren Erwartungen der Investoren.

Einbruch der Autowerte

Das Jahr 2024 hat den europäischen Autobauern wenig Gutes gebracht. Nach der erhofften Erholung von der Covid-Pandemie scheint der Aufwärtstrend endgültig vorbei. Der Stoxx 600 Autos & Parts Index, der bereits als einer der schlechtesten in Europa galt, hat seit seinem Höchststand im April 24 % verloren und erreichte diese Woche ein 10-Monats-Tief. Besonders betroffen ist Volkswagen AG, die größte Automobilfirma der Region, die nun auf einem historischen Bewertungs-Tiefpunkt angekommen ist.

Verschärfte Krise: Strukturelle Probleme und Handelsstreitigkeiten

Laut Wolf von Rotberg, Aktienstratege bei Bank J Safra Sarasin, ist die Branche noch nicht bereit für eine nachhaltige Erholung. Neben hausgemachten Problemen belasten der bevorstehende zyklische Abschwung sowie schwächelnde Nachfrage, insbesondere im chinesischen Markt, die Aussichten. Zudem erhöht der wachsende Wettbewerb durch chinesische Elektrofahrzeughersteller den Druck auf europäische Autobauer. Ein sich verschärfender Handelsstreit zwischen der EU und China sowie strengere EU-Emissionsgrenzen ab 2025 drohen die Probleme weiter zu verschärfen. Volkswagen erwägt sogar, erstmals Werke in Deutschland zu schließen.

Von Rotberg betont die hohe Abhängigkeit der großen deutschen Autobauer BMW, Mercedes-Benz und Volkswagen vom chinesischen Markt, der mehr als ein Drittel ihres Absatzvolumens ausmacht. Die Überkapazitäten drücken die Margen und es könnte Monate, wenn nicht Jahre dauern, bis sich der Markt wieder erholt.

Warnsignale aus der Branche

Ein weiteres Alarmzeichen: BMW gab kürzlich eine Gewinnwarnung heraus, nachdem Volkswagen und Porsche bereits ihre Prognosen für dieses Jahr gesenkt hatten. Analysten von Morgan Stanley sehen die Branche am Anfang eines langen negativen Margenzyklus und warnten, dass die Erwartungen für 2025-2026 möglicherweise zu optimistisch seien. Stellantis könnte als nächster betroffen sein, angesichts überfüllter Lagerbestände und ehrgeiziger Jahresziele für 2024.

Trotz der pessimistischen Aussichten zeigt der Sektor laut Analysten das größte Potenzial für Kursgewinne mit einer durchschnittlichen Steigerung von 33 % innerhalb der nächsten 12 Monate. Dies deutet darauf hin, dass die Aktien stark unterbewertet sind, selbst wenn die Prognosen weiter nach unten korrigiert werden müssen.

Attraktive Bewertungen?

Europäische Autobauer sind derzeit der am günstigsten bewertete Sektor, mit einem durchschnittlichen Kurs-Gewinn-Verhältnis von nur 5,4. Das entspricht einem fast rekordverdächtigen Abschlag von 60 % gegenüber dem breiteren Stoxx Europe 600. Einige Analysten wie Mathieu Racheter von Julius Baer Group sehen in diesen Bewertungen sogar Chancen, insbesondere bei Mercedes-Benz und Porsche, die trotz Herausforderungen attraktive Renditen bieten könnten. „Wir erwarten verbesserte Ergebnisse im vierten Quartal 2024 und 2025“, so Racheter.

Doch der Optimismus ist gedämpft. Die Branche bleibt unbeliebt, wie die jüngste August-Umfrage von Bank of America zeigt, und Short-Seller zielen weiterhin auf Unternehmen wie Volvo Car AB und Porsche. Weitere Verkäufe könnten folgen, sollten sich die Aussichten nicht bessern, warnt Marija Veitmane von State Street Global Markets: „Wir erwarten keine Erholung der Preise, solange sich der Gewinnausblick nicht verbessert.“