Neoklassik Börsenlexikon Vorheriger Begriff: Carl Menger Nächster Begriff: Verhaltensökonomik

Eine der wichtigsten wirtschaftstheoretischen Strömungen, die bis heute viele ökonomische Modelle prägen

Die Neoklassik ist eine der zentralen Denkrichtungen der Wirtschaftswissenschaften und dominiert bis heute viele ökonomische Modelle und Analysen. Sie entwickelte sich im späten 19. Jahrhundert als Weiterentwicklung der klassischen Nationalökonomie von Adam Smith, David Ricardo und John Stuart Mill. Die Neoklassik legt besonderen Wert auf die Rolle von Angebot und Nachfrage, die Rationalität wirtschaftlicher Akteure und die Effizienz von Märkten.

Ihr Einfluss reicht bis in die moderne Mikroökonomie, die Finanztheorie und die Wirtschaftspolitik. Die neoklassische Theorie bildet die Grundlage für viele wirtschaftspolitische Konzepte und prägt das Denken über Märkte, Wettbewerb und staatliche Eingriffe.

Entstehung der Neoklassik

Die Neoklassik entstand als Reaktion auf die Grenznutzentheorie, die in den 1870er Jahren unabhängig voneinander von drei Ökonomen entwickelt wurde:

  • Carl Menger (Österreichische Schule)
  • William Stanley Jevons (England)
  • Léon Walras (Frankreich)

Diese Ökonomen zeigten, dass der Wert eines Gutes nicht durch die aufgewendete Arbeitszeit (wie in der klassischen Wirtschaftstheorie), sondern durch den subjektiven Nutzen des Konsumenten bestimmt wird. Dieses Konzept, bekannt als Marginalismus, wurde zum Grundpfeiler der Neoklassik.

Die eigentliche neoklassische Theorie wurde dann durch Ökonomen wie Alfred Marshall, John Hicks und Paul Samuelson weiterentwickelt und systematisiert.

Grundannahmen der Neoklassik

Die Neoklassik basiert auf mehreren zentralen Annahmen:

  1. Rationalität der Akteure

    • Wirtschaftssubjekte (Haushalte, Unternehmen) handeln rational und streben nach Nutzenmaximierung (Konsumenten) bzw. Gewinnmaximierung (Unternehmen).
  2. Angebot und Nachfrage bestimmen den Preis

    • Die Preise von Gütern und Dienstleistungen ergeben sich aus dem Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage.
    • Der Markt führt automatisch zu einem Gleichgewicht, bei dem sich Angebot und Nachfrage ausgleichen.
  3. Vollkommene Konkurrenz und Effizienz von Märkten

    • Die Neoklassik geht von vollständiger Konkurrenz aus, in der viele Anbieter und Nachfrager existieren.
    • In einem freien Markt gibt es keine Marktversagen, sodass staatliche Eingriffe nicht notwendig sind.
  4. Grenzproduktivitätstheorie

    • Die Verteilung von Einkommen ergibt sich aus der Grenzproduktivität der Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital.
    • Jeder Produktionsfaktor wird genau so entlohnt, wie er zur Wertschöpfung beiträgt.
  5. Neutralität des Geldes

    • Langfristig hat Geld nur Auswirkungen auf das Preisniveau, nicht auf reale Größen wie Produktion oder Beschäftigung.
    • Dies führte zur Monetarismus-Debatte, bei der Milton Friedman argumentierte, dass Inflation durch Geldmengenwachstum entsteht.

Modelle der Neoklassik

Die Neoklassik entwickelte mehrere zentrale Modelle, die in der Wirtschaftstheorie bis heute verwendet werden:

1. Das allgemeine Gleichgewichtsmodell (Léon Walras)

Walras entwickelte ein mathematisches Modell, das zeigt, wie sich Märkte in einem Zustand des allgemeinen Gleichgewichts befinden können, wenn alle Preise flexibel sind und sich Angebot und Nachfrage anpassen.

2. Das partielle Gleichgewichtsmodell (Alfred Marshall)

Marshall betrachtete einzelne Märkte separat und erklärte, wie sich Preise durch Grenzkosten und Grenznutzen bilden. Er führte die berühmten Angebots- und Nachfragekurven ein.

3. Die Konsumtheorie (John Hicks & Paul Samuelson)

Diese Theorie beschreibt, wie Konsumenten ihre Ausgaben optimieren, indem sie ihr Einkommen so verwenden, dass ihr Gesamtnutzen maximiert wird.

Neoklassik und Wirtschaftspolitik

Die neoklassische Theorie hat großen Einfluss auf die Wirtschaftspolitik genommen, insbesondere in den Bereichen:

  • Wettbewerbspolitik: Freie Märkte gelten als effizient, daher sollte der Staat Monopole verhindern und für Wettbewerb sorgen.
  • Steuerpolitik: Steuern sollten möglichst niedrig sein, da sie Marktprozesse verzerren können.
  • Geldpolitik: Zentralbanken sollen die Inflation kontrollieren, da Geld langfristig keine Auswirkungen auf Wachstum oder Beschäftigung hat.

Kritik an der Neoklassik

Obwohl die Neoklassik weit verbreitet ist, gibt es auch Kritikpunkte:

  1. Unrealistische Annahmen

    • Die Annahme der vollständigen Rationalität der Akteure ist durch Verhaltensökonomie und Psychologie widerlegt worden.
    • Menschen handeln nicht immer rational, sondern lassen sich von Emotionen, Erwartungen und begrenztem Wissen leiten.
  2. Vernachlässigung von Marktversagen

    • Die Neoklassik geht oft davon aus, dass Märkte effizient sind. In der Realität gibt es jedoch Marktversagen durch Monopole, Umweltverschmutzung oder unvollständige Information.
  3. Kritik der Keynesianer

    • John Maynard Keynes kritisierte, dass sich Märkte nicht immer selbst regulieren und dass der Staat in Krisenzeiten eine aktive Rolle übernehmen müsse.
  4. Einkommens- und Vermögensungleichheit

    • Die Grenzproduktivitätstheorie erklärt nicht ausreichend, warum es in der Realität zu starken Einkommens- und Vermögensungleichheiten kommt.

Neoklassik vs. andere Wirtschaftstheorien

Theorie Zentrale Annahmen Rolle des Staates Preisbildung Marktversagen
Neoklassik Rationalität, Gleichgewicht Geringe Rolle, freier Markt Angebot & Nachfrage Selten
Keynesianismus Nachfrage bestimmt Wirtschaft Staat soll Wirtschaft stabilisieren Preise nicht immer flexibel Häufig (z. B. Arbeitslosigkeit)
Marxismus Produktionsmittel bestimmen Wert Staat lenkt Wirtschaft Arbeitswerttheorie Staat muss eingreifen
Österreichische Schule Individuelle Präferenzen Minimalstaat Subjektiver Wert Markt reguliert sich selbst

Bedeutung der Neoklassik heute

Trotz Kritik bleibt die Neoklassik die dominierende Denkschule in der Wirtschaftswissenschaft. Sie bildet die Grundlage für viele ökonomische Modelle, die in der Finanzwirtschaft, Unternehmensplanung und Wirtschaftspolitik genutzt werden.

Moderne Weiterentwicklungen der Neoklassik sind:

  • Neue Institutionenökonomik (Erweiterung der Theorie durch Verträge, Unternehmen und Politik)
  • Neokeynesianismus (Verknüpfung von Neoklassik und Keynesianismus)
  • Verhaltensökonomik (Integration psychologischer Faktoren in die Rationalitätshypothese)

Fazit

Die Neoklassik ist eine der wichtigsten wirtschaftstheoretischen Strömungen und prägt bis heute viele ökonomische Modelle. Sie basiert auf den Grundannahmen rationaler Akteure, effizienter Märkte und Angebots-Nachfrage-Mechanismen.

Während ihre Modelle in vielen Bereichen nützlich sind, gibt es Kritik an ihrer Realitätsnähe, insbesondere bei Marktversagen, Verhaltenspsychologie und Krisenbewältigung. Dennoch bleibt sie eine zentrale Grundlage der modernen Wirtschaftstheorie und -politik.