Marginalismus Börsenlexikon Vorheriger Begriff: Subjektive Werttheorie Nächster Begriff: Konsumtheorie

Ein fundamentaler Bestandteil der Mikroökonomie, Unternehmensstrategie und Finanzwissenschaft, der die Wirtschaftswissenschaft revolutioniert hat, indem er gezeigt hat, dass wirtschaftliche Entscheidungen auf Grenzwerten statt auf Durchschnittswerten basieren

Marginalismus ist eine zentrale wirtschaftswissenschaftliche Denkrichtung, die sich mit den Auswirkungen kleiner Veränderungen wirtschaftlicher Variablen auf Entscheidungen und Marktmechanismen befasst. Der Begriff leitet sich vom lateinischen „marginalis“ ab, was „am Rand“ oder „grenzwertig“ bedeutet.

Der Marginalismus entstand im 19. Jahrhundert als Antwort auf die Schwächen der klassischen Wirtschaftstheorie, insbesondere der Arbeitswerttheorie. Er führte Konzepte wie den Grenznutzen (Marginal Utility), die Grenzproduktivität (Marginal Productivity) und die Grenzkosten (Marginal Costs) ein, die heute grundlegend für die moderne Mikroökonomie sind.

Ursprung und Entwicklung des Marginalismus

Der Marginalismus entwickelte sich in den 1870er Jahren durch die Marginalistische Revolution, die von drei Ökonomen unabhängig voneinander geprägt wurde:

  • Carl Menger (1840–1921) (Österreichische Schule): Entwickelte die subjektive Werttheorie und erklärte Preise durch individuelle Nutzenbewertung.
  • William Stanley Jevons (1835–1882) (Englische Schule): Formulierte das Gesetz des abnehmenden Grenznutzens und analysierte mathematisch den Nutzen von Konsumgütern.
  • Léon Walras (1834–1910) (Französische Schule): Entwickelte die Allgemeine Gleichgewichtstheorie, die beschreibt, wie Märkte sich durch das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage in ein Gleichgewicht bewegen.

Diese Denkrichtung führte zu einer tiefgreifenden Veränderung der Wirtschaftswissenschaft, indem sie zeigte, dass ökonomische Entscheidungen nicht auf Durchschnittswerten, sondern auf Grenzwerten basieren.

Grundprinzipien des Marginalismus

Der Marginalismus basiert auf mehreren Kernkonzepten, die heute in der Mikroökonomie weit verbreitet sind:

1. Grenznutzen (Marginal Utility)

  • Der Grenznutzen bezeichnet den zusätzlichen Nutzen, den eine weitere Einheit eines Gutes bringt.
  • Er nimmt mit zunehmender Menge eines Gutes ab („Gesetz des abnehmenden Grenznutzens“).

MU=ΔTUΔQ MU = \frac{\Delta TU}{\Delta Q}

wobei:
MU MU = Grenznutzen,
ΔTU \Delta TU = Veränderung des Gesamtnutzens,
ΔQ \Delta Q = Veränderung der konsumierten Menge.

Beispiel:

  • Das erste Glas Wasser nach einem Marathon ist extrem wertvoll.
  • Das zweite ist immer noch angenehm, aber nicht mehr so notwendig.
  • Das zehnte Glas hat kaum noch Nutzen oder wird sogar unangenehm (negativer Grenznutzen).

2. Grenzkosten (Marginal Costs, MC)

  • Die Grenzkosten bezeichnen die zusätzlichen Kosten, die entstehen, wenn eine weitere Einheit eines Gutes produziert wird.
  • Unternehmen optimieren ihre Produktion, indem sie den Punkt finden, an dem die Grenzkosten gleich dem Preis sind.

MC=ΔTCΔQ MC = \frac{\Delta TC}{\Delta Q}

wobei:
MC MC = Grenzkosten,
ΔTC \Delta TC = Veränderung der Gesamtkosten,
ΔQ \Delta Q = Veränderung der produzierten Menge.

Beispiel:

  • Ein Autohersteller produziert 1.000 Autos. Die Kosten für das 1.001. Auto (zusätzliche Material- und Arbeitskosten) sind die Grenzkosten.
  • Wenn die Grenzkosten über dem Verkaufspreis liegen, lohnt sich die Produktion nicht mehr.

3. Grenzproduktivität (Marginal Productivity, MP)

  • Die Grenzproduktivität eines Faktors (z. B. Arbeit oder Kapital) beschreibt, wie viel zusätzliche Produktion durch eine weitere Einheit dieses Faktors erzeugt wird.
  • Nach dem Gesetz des abnehmenden Grenzprodukts führt die zusätzliche Nutzung eines Produktionsfaktors ab einem bestimmten Punkt zu immer geringeren Erträgen.

Beispiel:

  • Ein Bäcker hat eine kleine Backstube. Je mehr Bäcker dort arbeiten, desto mehr Brötchen werden gebacken.
  • Ab einem gewissen Punkt wird die Backstube zu eng, und zusätzliche Arbeiter erhöhen die Produktion kaum noch.

4. Grenzrate der Substitution (Marginal Rate of Substitution, MRS)

  • Die Grenzrate der Substitution beschreibt, wie viel ein Konsument von einem Gut aufgeben muss, um eine zusätzliche Einheit eines anderen Gutes zu erhalten, während sein Nutzen konstant bleibt.

Beispiel:

  • Ein Konsument ist bereit, 2 Schokoriegel gegen 1 Tasse Kaffee zu tauschen.
  • Je mehr Kaffee er besitzt, desto weniger Schokoriegel ist er bereit, zu opfern.

Bedeutung des Marginalismus in der Wirtschaft

Die Prinzipien des Marginalismus haben tiefgreifende Auswirkungen auf die Wirtschaftswissenschaft und die Unternehmenspraxis:

1. Preisbildung und Konsumverhalten

  • Unternehmen setzen Preise so, dass der Grenznutzen des Produkts mit dem Preis übereinstimmt.
  • Verbraucher kaufen Produkte, bis der Grenznutzen einer weiteren Einheit dem Preis entspricht.

2. Produktionsoptimierung und Kostenmanagement

  • Unternehmen produzieren so lange, bis Grenzkosten = Grenzerlös ist.
  • So wird die effizienteste Produktionsmenge ermittelt.

3. Lohn- und Arbeitsmarkt

  • Löhne basieren auf der Grenzproduktivität der Arbeit.
  • Ein Unternehmen stellt Arbeitnehmer nur ein, wenn ihr zusätzlicher Beitrag zum Gewinn höher ist als der Lohn.

4. Investitionen und Kapitalallokation

  • Unternehmen investieren dort, wo die Grenzrendite des Kapitals am höchsten ist.
  • Banken vergeben Kredite an Projekte, deren Grenzertrag über den Zinskosten liegt.

Kritik am Marginalismus

Trotz seiner Bedeutung gibt es einige Kritikpunkte an der marginalistischen Theorie:

1. Vereinfachte Annahmen über Rationalität

  • Die Theorie setzt voraus, dass Menschen rational handeln und ihren Nutzen perfekt berechnen.
  • Tatsächlich spielen psychologische Faktoren, Gewohnheiten und Emotionen eine große Rolle im Konsumverhalten.

2. Unterschätzung makroökonomischer Faktoren

  • Marginalismus konzentriert sich auf einzelne Unternehmen oder Konsumenten und vernachlässigt gesamtwirtschaftliche Entwicklungen wie Konjunkturzyklen, Arbeitslosigkeit oder staatliche Eingriffe.

3. Problem der Messbarkeit

  • Grenznutzen und Grenzkosten sind oft schwer exakt zu messen, da viele Faktoren (z. B. externe Effekte, Marktverzerrungen) eine Rolle spielen.

Vergleich: Marginalismus vs. Klassische Wirtschaftstheorie

Merkmal Marginalismus Klassische Theorie
Wertbestimmung Grenznutzen (subjektiv) Produktionskosten (Arbeitswerttheorie)
Preisbildung Angebot & Nachfrage, Nutzenmaximierung Objektive Kostenstrukturen
Entscheidungsgrundlage Individuelle Grenzbetrachtungen Durchschnittswerte
Vertreter Menger, Jevons, Walras Smith, Ricardo, Marx
Kritikpunkt Unrealistische Rationalitätsannahmen Kein Fokus auf Konsumentenverhalten

Fazit

Der Marginalismus hat die Wirtschaftswissenschaft revolutioniert, indem er gezeigt hat, dass wirtschaftliche Entscheidungen auf Grenzwerten statt auf Durchschnittswerten basieren. Seine Prinzipien sind heute fundamentale Bestandteile der Mikroökonomie, Unternehmensstrategie und Finanzwissenschaft.

Trotz einiger Schwächen bleibt der Marginalismus ein unverzichtbares Werkzeug zur Analyse von Preismechanismen, Produktionsentscheidungen, Arbeitsmärkten und Investitionsstrategien. Moderne Ökonomen ergänzen ihn durch Verhaltensökonomie und makroökonomische Modelle, um eine umfassendere Analyse wirtschaftlicher Prozesse zu ermöglichen.