Keynesianismus Börsenlexikon Vorheriger Begriff: Keynesianische Wirtschaftspolitik Nächster Begriff: Marxismus
Eine der einflussreichsten wirtschaftstheoretischen Strömungen, die die moderne Wirtschaftspolitik nachhaltig geprägt hat
Der Keynesianismus ist eine wirtschaftswissenschaftliche Strömung, die auf die Theorien des britischen Ökonomen John Maynard Keynes (1883–1946) zurückgeht. Er entwickelte seine Wirtschaftstheorie als Antwort auf die Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre, in der die klassische Wirtschaftstheorie versagte. Keynes stellte das bis dahin vorherrschende Prinzip infrage, dass Märkte sich selbst regulieren und Arbeitslosigkeit automatisch durch sinkende Löhne beseitigt wird. Stattdessen argumentierte er, dass die gesamtwirtschaftliche Nachfrage entscheidend für Wachstum und Beschäftigung sei und dass der Staat durch aktive Fiskalpolitik in wirtschaftliche Prozesse eingreifen müsse.
Der Keynesianismus wurde nach dem Zweiten Weltkrieg zur dominierenden wirtschaftspolitischen Lehre und beeinflusst bis heute wirtschaftliche Entscheidungen vieler Staaten. Er war Grundlage für viele Konjunkturprogramme und sozialstaatliche Maßnahmen und wurde später durch den Neokeynesianismus weiterentwickelt.
Entstehung des Keynesianismus
Vor Keynes dominierte die klassische Wirtschaftstheorie, die auf Adam Smith, David Ricardo und John Stuart Mill zurückgeht. Diese Theorie basierte auf der Annahme, dass:
- Märkte sich selbst regulieren („unsichtbare Hand“ des Marktes),
- Preise und Löhne flexibel sind und sich an Angebot und Nachfrage anpassen,
- Ersparnisse automatisch in Investitionen umgewandelt werden (Saysches Theorem).
Doch die Weltwirtschaftskrise von 1929 stellte diese Annahmen infrage:
- Die Nachfrage brach ein, Unternehmen investierten nicht mehr,
- Die Arbeitslosigkeit stieg stark an, da Unternehmen Kosten senken mussten,
- Sinkende Löhne führten nicht zu einer Erholung, sondern verstärkten die Krise, da Konsumenten weniger Geld hatten.
Keynes entwickelte daraufhin eine neue Theorie, die die Wirtschaft nicht nur aus mikroökonomischer Perspektive betrachtete, sondern auch makroökonomische Zusammenhänge in den Fokus nahm.
Grundprinzipien des Keynesianismus
Keynes stellte mehrere zentrale Theorien auf, die den Keynesianismus bis heute prägen:
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Gesamtwirtschaftliche Nachfrage bestimmt das Wirtschaftswachstum
- Während die klassische Theorie das Angebot als zentralen Faktor betrachtete, argumentierte Keynes, dass die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen entscheidend für Beschäftigung und Wachstum sei.
- Wenn Haushalte und Unternehmen weniger konsumieren und investieren, führt dies zu wirtschaftlichem Abschwung und steigender Arbeitslosigkeit.
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Staatliche Eingriffe sind notwendig
- In Krisenzeiten muss der Staat durch Fiskalpolitik die Nachfrage stimulieren.
- Dies kann durch Steuersenkungen, öffentliche Investitionen oder Sozialausgaben geschehen.
- Keynes hielt es für notwendig, dass der Staat in schlechten Zeiten Schulden aufnimmt, um die Wirtschaft zu stabilisieren (Defizitfinanzierung).
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Antizyklische Konjunkturpolitik
- Keynes forderte eine antizyklische Wirtschaftspolitik, um extreme Konjunkturschwankungen zu vermeiden:
- In einer Rezession sollte der Staat Geld ausgeben, um die Nachfrage zu steigern.
- In einer Boomphase sollte der Staat die Nachfrage bremsen, z. B. durch Steuererhöhungen oder Ausgabenkürzungen, um Inflation zu verhindern.
- Keynes forderte eine antizyklische Wirtschaftspolitik, um extreme Konjunkturschwankungen zu vermeiden:
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Multiplikatoreffekt
- Keynes entwickelte das Konzept des Multiplikators, das besagt, dass jeder zusätzliche Euro an staatlichen Ausgaben mehrfach in der Wirtschaft zirkuliert und zu einer höheren Gesamtproduktion führt.
- Beispiel: Baut der Staat eine Straße, erhalten Bauunternehmen und Arbeiter Einkommen, das sie wiederum für Konsum ausgeben, was weitere Einkommen generiert.
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Liquiditätsfalle und Bedeutung der Geldpolitik
- In schweren Krisen kann eine Senkung der Zinsen wirkungslos sein, weil Unternehmen und Haushalte aus Unsicherheit nicht investieren oder konsumieren.
- In diesem Fall sind Fiskalmaßnahmen (z. B. direkte staatliche Investitionen) effektiver als Geldpolitik.
Wichtige Modelle des Keynesianismus
Keynes‘ Theorien wurden in verschiedenen wirtschaftswissenschaftlichen Modellen weiterentwickelt:
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IS-LM-Modell (John Hicks & Alvin Hansen)
- Zeigt das Zusammenspiel von Investitionen (I), Sparen (S) und dem Geldmarkt (Liquiditätspräferenz (L) – Geldmenge (M)).
- Wird oft zur Analyse von Geld- und Fiskalpolitik verwendet.
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Phillips-Kurve (A.W. Phillips)
- Beschreibt den kurzfristigen Zusammenhang zwischen Inflation und Arbeitslosigkeit: Niedrige Arbeitslosigkeit geht oft mit höherer Inflation einher.
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Keynesianische Konsumfunktion
- Zeigt, dass Konsum nicht nur vom Einkommen, sondern auch von Erwartungen und Sparneigung beeinflusst wird.
Anwendung des Keynesianismus in der Praxis
Keynesianische Wirtschaftspolitik wurde in vielen Ländern erfolgreich angewandt:
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New Deal (USA, 1930er Jahre)
- Präsident Franklin D. Roosevelt führte umfangreiche öffentliche Investitionen durch, um die Folgen der Weltwirtschaftskrise zu bekämpfen.
- Staatliche Programme schufen Arbeitsplätze und stärkten die Nachfrage.
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Nachkriegsboom (1950er–1970er Jahre)
- Viele westliche Länder setzten auf staatliche Investitionen und Sozialstaatlichkeit.
- Dies führte zu hohen Wachstumsraten und niedriger Arbeitslosigkeit.
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Finanzkrise 2008/09
- Regierungen weltweit griffen auf keynesianische Maßnahmen zurück, um die Wirtschaft zu stabilisieren.
- Beispiel: Das Konjunkturpaket unter Barack Obama in den USA.
Kritik am Keynesianismus
Trotz seines Erfolgs gibt es erhebliche Kritik am Keynesianismus:
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Hohe Staatsverschuldung
- Keynesianische Politik führt oft zu hohen Staatsschulden, da der Staat in Krisen mehr ausgibt, als er einnimmt.
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Inflationsgefahr
- Monetaristen (z. B. Milton Friedman) argumentierten, dass zu viel Staatsausgaben langfristig zu Inflation führen.
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Politische Fehlanreize
- Politiker könnten geneigt sein, keynesianische Maßnahmen (höhere Staatsausgaben) auch in Boomzeiten anzuwenden, um Wähler zu gewinnen.
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Neue Klassische Makroökonomie
- Ökonomen wie Robert Lucas kritisierten, dass rationale Erwartungen dazu führen, dass Menschen staatliche Eingriffe antizipieren, wodurch diese unwirksam werden.
Keynesianismus vs. Neoklassik
Merkmal | Keynesianismus | Neoklassik |
---|---|---|
Rolle des Staates | Staat soll Nachfrage stabilisieren | Staatseingriffe meist unnötig |
Arbeitslosigkeit | Kann durch Staatsausgaben gesenkt werden | Freiwillige Entscheidung oder durch Lohnflexibilität lösbar |
Inflation | Kein Problem in Rezessionen, aber langfristig beachten | Resultat von Geldmengenwachstum |
Fiskalpolitik | Wichtigstes Instrument | Weniger bedeutend |
Geldpolitik | Ergänzt Fiskalpolitik | Hauptsteuerungsinstrument |
Fazit
Der Keynesianismus ist eine der einflussreichsten wirtschaftstheoretischen Strömungen und hat die moderne Wirtschaftspolitik nachhaltig geprägt. Er betont die Bedeutung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage und die Notwendigkeit staatlicher Eingriffe, um Konjunkturschwankungen auszugleichen und Arbeitslosigkeit zu reduzieren.
Obwohl der Keynesianismus Kritik erfahren hat, bleibt er eine zentrale wirtschaftspolitische Strategie, insbesondere in wirtschaftlichen Krisenzeiten, wenn private Investitionen und Konsum nicht ausreichen, um die Wirtschaft zu stabilisieren.