HELLOFRESH SE INH O.N. WKN: A16140 ISIN: DE000A161408 Kürzel: HFG Forum: Aktien Thema: Hauptdiskussion
Juristischen Ärger haben Richter und seine Leute auch an anderer Stelle. Immer wieder gab es Spannungen mit dem erst 2023 formierten Betriebsrat der SE in Berlin. Anderswo im Konzern scheiterte gar der Versuch, einen Betriebsrat zu starten. Am Produktionsstandort Verden soll es Auseinandersetzungen mit Angestellten gegeben haben, die eine Wahl geplant hätten. Wie schon bei der SE habe das Arbeitsgericht schließlich den Wahlvorstand eingesetzt, berichten Mitarbeiter. Zur Wahl aber kam es in Verden nie: Zwei der drei Initiatoren hätten dann um den Jahreswechsel 2023/24 Aufhebungsverträge unterzeichnet. In der Belegschaft soll Richters langjährige, wohl noch fortbestehende Beziehung zu einer Kollegin aufstoßen, die als Senior Vice President auf der Führungsebene unter dem Vorstand arbeitet. Die Managerin berichtet formal zwar nicht an Richter, aber es sei schwierig, offen seine Meinung zu äußern, sagen mehrere Mitarbeiter. Man müsse schließlich immer fürchten, dass es beim CEO lande. Generell wird die Stimmung immer schlechter: Interne Mitarbeiterumfragen zeigen, dass der Glaube an den Vorstand sinkt. Zuletzt gaben nur noch 37 Prozent an, sie hätten Vertrauen in das C-Level – der Wert liegt 12 Prozentpunkte niedriger als Ende 2023. Ein Viertel widerspricht der Aussage sogar, Vertrauen in die oberste Führung zu haben. Und bloß rund ein Drittel glaubt, dass die Ergebnisse der Umfrage auch zu Veränderungen führen werden.
Ist der Ruf erst ruiniert - Die Kundentreue ist eine heikle Sache: Konsumenten werden auch bei den Kochboxen über massive Rabatte geködert, für die ersten vier Pakete winken schon mal Nachlässe von 50, 40, 30 und 20 Prozent. Von allen Kunden, die 2022 ein Abo bei einem der fünf großen Kochboxenanbieter in den USA abgeschlossen hatten, waren nach zwölf Monaten teils nur 10 Prozent übrig. „Für jeden Dollar, den wir ausgeben“, sagte Richter dem „Wall Street Journal“, „brauchen wir sechs Monate, um ihn zurückzuverdienen.“ Wenig hilfreich ist, dass HelloFresh immer wieder durch fragwürdige Manöver auffällt: Dieses Jahr etwa musste das Unternehmen eine Strafe in Großbritannien zahlen; Grund war eine Kampagne mit 80 Millionen Spam-E-Mails. Die Regulatoren sahen die Kunden nicht ausreichend über zu setzende Häkchen aufgeklärt; laut Behörde ein „klarer Vertrauensbruch“. HelloFresh teilt mit, man habe das Feedback der Behörde „sorgfältig geprüft“ und Änderungen an der SMS- und E-Mail-Strategie vorgenommen. Datenschutzverpflichtungen nehme man „sehr ernst“. In Deutschland darf Richter nicht mehr damit werben, HelloFresh sei „das erste globale klimaneutrale Kochbox-Unternehmen“. Das Unternehmen hatte behauptet, „wir kompensieren 100 Prozent unserer direkten CO₂-Emissionen“. Das Landgericht Berlin sah das nicht gewährleistet.
Um HelloFresh wieder zur Wachstumsfirma zu machen, braucht es allerdings mehr: „Die Fertiggerichte werden nicht reichen, um das schrumpfende Kochboxengeschäft zu kompensieren“, sagt Investor Philipp Klöckner (44). Er könnte sich vorstellen, dass HelloFresh in den hochprofitablen, wenngleich umkämpften Markt mit Nahrungsergänzungsmitteln einsteigt. „Die Frage ist natürlich, ob sie die richtige Marke dafür haben.“ Im Kerngeschäft, bei den Kochboxen, erwartet der Investor jedenfalls keine Erholung: „Das sieht stark nach Stagnation aus.“ Richter will aus den verbleibenden Kunden mehr herausholen, den durchschnittlichen Bestellwert etwa durch den Verkauf von „Premium Mahlzeiten“ steigern. Seinen Aktionären hat er signalisiert, die Konsumentenstimmung werde sich mittelfristig schon wieder aufhellen – dann würden auch wieder mehr HelloFresh-Kochboxen bestellt. Eine Untersuchung von You-Gov aus dem März lässt daran zweifeln, dass der Schrumpfkurs nur an der schlechten Konsumlaune liegt. Danach ist die „Ad Awareness“ von HelloFresh, also die Werbebekanntheit, im wichtigsten Markt USA zwar doppelt so hoch wie im Schnitt des Sektors. Doch der Ruf erreicht in der Analyse nicht mal die Hälfte des Branchenschnitts (4,3 im Vergleich zu 10,7 Punkten). „Sie haben so viele Kunden eingesammelt“, sagt E-Commerce-Experte Jochen Krisch (56). „Da stellt sich schon die Frage, wieso sie die nicht reanimieren können.“
Für die neue Wachstumsstory baut Richter das Fertiggerichtegeschäft nun nach dem üblichen HelloFresh-Muster aus: fette Rabatte auf alles. Neukunden zahlen für zehn Gerichte in der ersten Woche nur 62,45 Dollar statt 124,90 Dollar; in Woche zwei gibt’s noch mal 20 Prozent Rabatt. Ob und wie lange die Kundentreu bleiben, wenn die heftigen Discounts wegfallen, ist nicht klar. Richter muss jetzt beweisen, dass das Business auch außerhalb der USA läuft. An der Expansion etwa nach Schweden und Dänemark versucht er sich gerade. Und, so hört man aus dem Unternehmen, auch in Kerneuropa soll das Geschäft mit den Fertiggerichten vorangetrieben werden. Jedoch hake die Expansion: Die beiden deutschen Produktionsstätten Verden und Barleben machten Probleme. Verden sei zu klein und Barleben zu langsam. Zu der Performance einzelner Produktionsstandorte äußere man sich im Allgemeinen nicht, teilt HelloFresh dazu mit. Aber: Die RTE-Expansion in Europa schreite wie geplant voran, die Annahme sei dementsprechend nicht richtig.
Gespür für Großes - Um das Geschäft zu stabilisieren, pusht Richter vor allem das noch junge Abogeschäft mit eingeschweißten Fertiggerichten für die Mikrowelle unter der Marke Factor. Richter hatte das US-amerikanische Start-up, geleitet von Mike Apostal, 2020 zugekauft – und damit Gespür für großes Geschäft bewiesen. Allein das starke Wachstum von Factor – 50 Prozent im ersten Halbjahr 2024 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum – hielt den Gesamtumsatz zuletzt etwa auf Niveau. Die fertig zubereiteten Mahlzeiten dürften zudem eine andere Kundschaft ansprechen als die Kochboxen: eher bequeme, aber gesundheitsbewusste Singles statt Familien. 2024 trug die Marke im ersten Halbjahr 25 Prozent zu den Erlösen bei. Im Gesamtjahr soll sie mehr als 2 Milliarden Euro einspielen. Intern würden die Fertiggerichte – Ready to Eat (RTE) genannt – als das neue heiße Ding gepusht, berichten Mitarbeiter. Es sei Common Sense, dass das Potenzial für die Kochboxen ausgereizt sei. Im ersten Halbjahr schrumpfte der Bereichsumsatz im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 8,4 Prozent.
Während des rasenden Aufstiegs hatte Richter die Organisation ausgebaut, als sei die Entwicklung auf Pandemiespeed eine Sache für die Ewigkeit. Als die Kunden wieder absprangen und die Umsätze wegsackten, waren die Kapazitäten zu groß. Richter steuerte gegen: Er kürzte Stellen, teils auf unschöne Weise, wie das manager magazin berichtete. Wie viele Jobs genau weggefallen sind, lässt sich nicht nachvollziehen, da teils an anderer Stelle aufgestockt wurde. HelloFresh teilt die konkreten Zahlen auf Anfrage nicht mit und versichert, man sei insgesamt gewachsen. Gestrichen wird trotzdem weiter da, wo Richter es für nötig hält: Im Juli dieses Jahres schloss er einen Logistikstandort im US-Bundesstaat Georgia mit mehr als 700 Mitarbeitern. Auch Budgets sollen Ende April gekürzt worden sein: für Homeoffice-Ausrüstung etwa, 300 Euro einmalig, und für Weiterbildungen 1000 Euro pro Kopf und Jahr. Die Versuche der vergangenen Monate aber haben längst nicht gereicht. Richter und sein Finanzchef Christian Gärtner (51) kündigten im Zuge der Halbjahrespräsentation „Kostenoptimierungen“ an. Intern wird schon länger befürchtet, dass eine größere Umstrukturierung ins Haus stehen könnte. Gärtner erklärt, man wolle vier Punkte angehen: Die Produktivität des neuen Segments Fertiggerichte solle gesteigert werden, ebenso die der neuen Fulfillment-Center in Deutschland und Großbritannien. Die Kapazitäten für das Kochboxengeschäft würden angepasst und die Fixkosten überprüft. Wann die Änderungen einschlagen sollen, lässt er offen. Sie seien „auf dem Weg“.
Unter Druck gerieten Dominik Richter und sein Projekt HelloFresh nachhaltig im Herbst 2023. Nur knapp drei Wochen nach Bekanntgabe der Quartalszahlen, bei der die Ziele noch unangetastet geblieben waren, ließ Richter eine Gewinnwarnung versenden. Analysten sprachen von untergrabenem Vertrauen. Dass die Schwierigkeiten bloß vorübergehend sein sollten, sei vor allem angesichts des schwächelnden US-Markts nicht glaubwürdig, kommentierte etwa William Woods von Bernstein Research. Es folgte eine weitere Gewinnwarnung Anfang März. Richter senkte die Ergebnisprognose für 2024, kassierte gleich auch mittelfristige Umsatz- und Gewinnziele. Die Anleger blieben nachhaltig schockiert, der ohnehin abgesackte Aktienkurs verlor noch einmal 45 Prozent. Das Geschäft mit den Kochboxen kann das Wachstum der Pandemiezeit nicht ansatzweise fortsetzen – im Gegenteil: Das Business schrumpft. Im ersten Halbjahr 2024 betrug der Verlust des Konzerns dann 82,2 Millionen Euro (Ebit). Es ist nicht so, dass Richter nicht nach einer neuen Wachstumsstory sucht. Wie sein Entdecker Oliver Samwer hat er an der Privatuni WHU in Vallendar studiert. HelloFresh startete er mit minimaler BWL-Berufserfahrung (sieben Monate Goldman Sachs) und maximaler Leistungsbereitschaft. Er weiß, was alle von ihm erwarten.
Wenn man erst einmal der „Leader in seiner Branche“ sei, sagte Richter kürzlich dem „Wall Street Journal“ in einem Video, könne man nur schwer disruptiert werden angesichts des „komplexen“ Geschäfts. Tatsächlich ist die Kochboxenlogistik aufwendig: Nicht allein müssen die Boxen in Kühlhäusern sorgfältig gepackt werden, auch darf die Kühlkette unterwegs nicht abreißen. Größere Verspätungen bei der Lieferung bedeuten schnell mal verdorbenes Essen. Aber so ein Vorsprung ist keine Garantie. Denn trotz Richters beeindruckendem Aufstieg ist von dem früheren Glanz nur noch wenig zu erkennen. An der Börse ist HelloFresh gerade noch eine Milliarde Euro wert; aus dem Dax ist das Unternehmen 2022 schon nach einem Jahr wieder abgestiegen. „Richter hat das Business zwar groß gemacht“, sagt Analyst Linus Vogel (33) vom HelloFresh-Anteilseigner Deka Investment. „Aber jetzt muss er dringend beweisen, dass er auch zuverlässig Gewinn erwirtschaften und seine Ziele einhalten kann.“ Denn nach ersten Profiten während des Coronabooms stehen wieder Verluste unter dem Strich. Vorstandschef Dominik Richter hat viel Vertrauen verspielt, bei den Aktionärinnen und Aktionären ebenso wie bei seinen Mitarbeitern. Eine der heißesten Erfolgsgeschichten der deutschen Start-up-Szene verkocht.
Der Berliner Gründer ist in der Start-up-Szene ein Star. Richter schickt genau abgewogene Zutaten in Kochboxen mitsamt Rezepten zu seinen Kunden nach Hause, die kochen damit einfach und trotzdem frisch, das Ganze läuft im Abo. Der Firmenbauer Oliver Samwer (52) setzte die Idee mit seinem Unternehmen Rocket Internet auf und installierte Richter 2011 als Gründer und Geschäftsführer des Start-ups. Der machte HelloFresh größer, als viele es je für möglich gehalten hatten: Richter trieb das Geschäft mit massivstem Marketing auf mehr als 7 Milliarden Euro Umsatz. Ihm gelang selbst derSchritt in die USA, auch dort riss er die Marktführerschaft an sich und pulverisierte Wettbewerber wie Blue Apron, deren kürzlich ausgeschiedene CEO Linda Findley (51) zuletzt gar das Unternehmen von der Börse nahm. Mit der Coronapandemie begann der ungeahnte Boom: Die Restaurants blieben geschlossen, die Menschen kochten zu Hause. Der HelloFresh-Umsatz verdoppelte sich 2020 auf 3,7 Milliarden Euro und wuchs rasant weiter auf 7,6 Milliarden Euro (2022). Der Börsenwert stieg zwischenzeitlich auf mehr als 16 Milliarden Euro, die Belegschaft wurde von Richter auf etwa 20.000 Angestellte vervierfacht. Schon 2025 wollte er 10 Milliarden Euro umsetzen, bei einem Ergebnis von einer Milliarde Euro (angepasstes Ebitda).
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