DÜSSELDORF/BERLIN (dpa-AFX) - Millionen Mieter müssen spätestens in einem halben Jahr vertraglich neue Wege gehen, um in ihrer Wohnung weiter fernsehen zu können. Am 1. Juli läuft eine gesetzliche Frist aus - ab dann dürfen Vermieter die TV-Gebühren nicht mehr auf die Nebenkosten umlegen. Jahrelang betraf diese Praxis circa 12 Millionen Mieter. Nun endet das in den 80-ern eingeführte Nebenkostenprivileg, das den Kabelnetzbetreibern Vodafone
Die Platzhirsche müssen sich auf Kundenverluste einstellen, denn ein Teil der Mieter will heraus aus der bisherigen Pflichtzahlung. Die Kabelgebühren musste jeder Mieter zahlen, dessen Vermieter das so wollte - selbst wenn der Mieter das lineare Fernsehen gar nicht mehr nutzt. Manche Mieter zahlten zwar doppelt - also für den ungenutzten Kabelanschluss und für einen anderen Übertragungsweg, der mehr Möglichkeiten bot. Viele dürften aber vor so einer Doppelzahlung zurückgeschreckt haben - wenn die Pflichtzahlung für Kabel wegfällt, wird die Nachfrage nach den Konkurrenzangeboten wohl steigen.
Den Kabelanbietern drohen Einbußen
In einer Investorenpräsentation geht Vodafone auf die Folgen der Gesetzesänderung ein und nennt hierbei eine Jahresumsatzzahl von circa 800 Millionen Euro. Darüber hatte zuvor die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" berichtet. Diese Zahl bezieht sich auf 8,5 Millionen TV-Kunden, die über Wohnungsbaugesellschaften kommen. Insgesamt hat Vodafone nach eigenen Angaben 13 Millionen Kabelkunden - dessen größter Teil muss nun also vertraglich neu geregelt werden.
"Es wird sicherlich herausfordernd", sagt Vodafone-Manager Marc Albers mit Blick auf die drohenden Einbußen. "Wir sind dennoch optimistisch, dass wir mit unseren Angeboten die Mieter auch künftig überzeugen." Von Tele Columbus heißt es, es gebe "gewisse geschäftliche Risiken".
Für Kabelkunden wird es etwas teurer
Die Firmen bieten jetzt neue Verträge und Vereinbarungen an, mit denen Mieter außerhalb der Nebenkosten weiterhin von relativ günstigen Konditionen profitieren können. Hierfür sind die Kabelanbieter Kooperationen mit Wohnungsbaugesellschaften eingegangen. Denn das war ein Vorteil der bisherigen Umlagefähigkeit: Weil die Vermieter mit den Kabelanbietern große Verträge mit vielen Nutzern abschlossen, war der Durchschnittspreis pro Wohnung niedrig - bei Vodafone waren es Firmenangaben zufolge bislang sieben bis neun Euro.
Künftig sollen es acht bis zehn Euro sein - vorausgesetzt, es wird eine dieser neuen Vereinbarungen genutzt, die eine gewisse Menge an Abnehmern enthält. Liegt hingegen kein Rahmenvertrag vor und ist der Mieter als Einzelkunde auf sich allein gestellt, muss er bei Vodafone künftig monatlich knapp 13 Euro berappen.
Im Kampf um die Kundengunst setzt Vodafone auch auf die Macht der Gewohnheit. "Die Marktforschung zeigt, dass viele Mieter eher "Fernseh-Puristen" sind, denen ihre gewohnten Programme wichtiger sind als Streaming-Dienste oder Internetfernsehen", sagt Albers. "Niemand möchte Kabel umstecken, zusätzliche Geräte installieren, eine zweite Fernbedienung verwenden oder Programme neu sortieren. Beim Fernsehempfang über Kabel bleibt alles so, wie es ist."
Konkurrenten wittern ihre Chance
Bei der Telekom sieht man das anders, der zuständige Manager Arnim Butzen verweist auf die veränderten Gewohnheiten vieler Menschen. "Anders als beim Kabelfernsehen sind Magenta-TV-Kunden nicht an einen Ort wie das Wohnzimmer gebunden", sagt er. "Sie sehen fern, wann und wo sie möchten: zuhause auf dem TV-Gerät, in der Bahn auf dem Smartphone oder auf dem Balkon mit dem Tablet."
Die Wettbewerber hoffen auf einen möglichst großen Anteil am Markt, der bisher fest in der Hand von Vodafone & Co. ist. "Nach unserer Einschätzung könnten die Kabel-Anbieter bis zu zwei Drittel ihrer TV-Haushalte verlieren", sagt Telekom-Mann Butzen. "Der Wegfall des Nebenkostenprivilegs ist für unser TV-Angebot eine große Chance, wir können nur gewinnen." Man rechne mit einem deutlichen Kundenzuwachs. Vodafone hingegen verweist auf eine selbst in Auftrag gegebene Umfrage, der zufolge die meisten Kabel-Kunden eigentlich keine Änderungen wollen.
Frank Lilie vom Satelliten-TV-Anbieter Astra hält viele Marktprognosen zwar für spekulativ. "Klar ist aber: Es wird eine Bewegung weg vom Kabel geben - und davon wird der TV-Empfang über Satellit profitieren." Ein Fernsehzugang über eine Satellitenschüssel am Balkon oder auf dem Dach ist eine Alternative zum Kabel-Fernsehen. Außerdem gibt es noch Antennenfernsehen sowie besagte Onlinedienste.
Wer einen Internetanschluss hat, kann zum Beispiel über Waipu.tv Zugriff auf eine Vielzahl an Fernsehsendern und Streamingdiensten bekommen. Firmenangaben zufolge hat Waipu bereits 1,3 Millionen zahlende Abokunden, Tendenz steigend. Auch Konkurrent Zattoo ist nach eigenen Angaben auf dem aufstrebenden Ast. Man sehe in dem Auslaufen der gesetzlichen Frist "enorme Chancen" und gehe davon aus, von den wechselwilligen bisherigen Kabelkunden "einen signifikanten Anteil von unserem Angebot überzeugen zu können", heißt es von Zattoo.
Bisher nur wenige "Cable-Cutter"
Beim Kabelanbieter Tele Columbus mit seiner Marke P?UR gibt man sich gelassen. "Wir gehen davon aus, dass die Kundinnen und Kunden ihre Entscheidung zur Wahl des Verbreitungsweges bereits getroffen haben", sagt Pressesprecher Sebastian Artymiak. Die Kundenverluste hielten sich nach seiner Darstellung bisher noch in Grenzen: "Der Anteil der so genannten Cable-Cutter ist immer noch gering." Das Gesetz, das den Abschied vom Nebenkostenprivileg besiegelte, trat im Dezember 2021 in Kraft, inklusive der Übergangsfrist bis Mitte 2024.
Und was passiert, wenn bis zum 1. Juli nichts passiert - wenn die Frist verstreicht und noch keine vertragliche Neuregelung oder noch kein Wechsel auf einen anderen Übertragungsweg erfolgt ist? Die Abschaltungen erfolgten sicherlich "nicht auf einen Schlag", sagt Artymiak. "Richtig ist aber, Kabelanschlüsse ohne Vertrag werden schlussendlich stillgelegt."/wdw/DP/zb